Neu-Inszenierung von Prokofiew-Oper: Wintermärchen in Charlottengrad

Sehr lustig hat Robert Carsen „Die Liebe zu den drei Orangen” von Sergej Prokofiew neu inszeniert. Und alle Fraktionen des Publikums kriegen ihre eigene Orange.

Fata Morgana und Zeremonienmeister in „Die Liebe zu den drei Orangen“. Bild: dapd

Der Saal ist voll, die Handys stumm geschaltet, das Licht geht aus – und gleich wieder an. Das muss so sein, weil Prokofiew zuerst einmal das Publikum auf die Bühne schickt. Uns selbst also, aber wir lassen uns gerne vertreten von diesem Chor, der unter der Leitung von William Spaulding ständig irgendwelche Preise gewinnt. Von rechts kommen die im schwarzen Anzug.

Sie wollen Tragödien haben. Dann von links die in Jeans. Sie wollen Komödien. Dann, auch von links, die Damen in Abendrobe. Sie wollen Gefühle. Alle drei singen in ihrer Tonart und ihrem Tempo, erst alleine, dann zusammen. Das Ergebnis ist grandioses Chaos, sauschwer zu singen, aber dieser Superchor schafft das mal wieder absolut preiswürdig. Das ist die eine Seite von Prokofiew, Auflösung der Tonalität, Polyrhytmik: all das also, was bis heute an der Musik der klassischen Moderne als ein bisschen schwierig empfunden wird.

Die andere, die ihm nachhaltigeren Rum eingebracht hat, kommt sogleich. Peter Carsen, der Regisseur, lässt eine schwarz gekleidete Spezialeinheit, wahrscheinlich Al Quaida vom CIA ausgebildet, mit Kalaschnikows in der Hand auftreten. Sie schaffen Ordnung, indem sie mit den Gewehren fuchtelnd absolut neoklassisch gesungene, klare Anweisungen geben: Hier wird gespielt, was auf dem Spielplan steht, und nichts anderes. Noch Fragen?

Nein, es war kein Risiko für Dietmar Schwarz, den neuen Intendanten, diesen Prokofiew auf den ersten Spielplan seiner Amtszeit zu setzen. Die Musik ist ein unverwüstlich robustes Kaleidoskop von Parodien auf beinahe alles, was es an Formen und Stilen gab, selbst Wagner klang nie besser als hier. Das von Prokofiew selbst geschriebene Libretto überzeugt durch seinen radikalen Verzicht auf Sinn und Botschaft.

Stegreif-Komödie von Gozzi

Es geht, nach der Vorlage einer Stegreif-Komödie von Carlo Gozzi aus dem 18. Jahrhundert, ausschließlich ums Theater im Theater, um Arien, Ensembles, Tänze, vorgetragen von Typen der Commedia del' arte. Solisten und Orchester unter der Leitung des jungen Amerikaners Steven Sloane haben hörbar großen Spaß daran, und der Regisseur hätte ihnen eigentlich auch nur wie einst Franz Beckenbauer in der Kabine sagen können: „Gehts raus und spielt Prokofiew". Dann kann dieses Stück einfach nicht schief gehen (wahrscheinlich wird es deswegen auch an jedem Stadttheater gespielt).

Aber Robert Carsen hat sehr viel mehr getan. Das Theater im Theater spielt in Berlin. Vor der Pause langweilt sich der melancholische Prinz, der das Lachen lernen soll, auf der Berlinale schier zu Tode. „Unheilbar" haben ihm sowieso schon die Ärzte der Charité bescheinigt. Auf einer Theaterleinwand flimmerten Murnau und andere Klassiker des deutschen Films aus Berlin. Nach der Pause aber schiebt Gozzis Narr „Truffaldino" endlich die drei riesengroßen Orangen auf die Bühne, die jetzt eine ausgetrocknete Wüste sein soll. Naturgetreu im Design ihrer Marken nachgebildet heißen sie „Komische Orange", „Deutsche Orange" und „Staatsorange".

Sie enthalten Prinzessinnen. Die erste singt deutsch, die zweite kommt aus dem Salon von Sanscoussi, aber beide verdursten sofort, weil Truffaldino sie zu früh aus ihren Orangen geschält hat. Die dritte überlebt, weil die Avantgardisten-Spezialeinheit rechtzeitig einen Kübel voller Geldscheine bereit gestellt hat. Der aufgeweckte Prinz gießt ihn über die Schöne aus, die einen Wagner-Helm trägt. Dick aufgetragen ist das schon, aber der Berliner Humor ist nun mal so.

„Kannste nicht meckern" steht ja auch mal als Übersetzung einer Zeile des im französischen Original gesungenen Werkes über dem Bühnenportal. Es steckt viel Wahrheit drin. Dass die Deutsche Orange, diese besonders faule Frucht, so glänzend überlebt, glauben wir sofort, weil es endlich wieder zu sehen und zu hören ist. Und es ist auch wahr, dass Prokofiews Stück von seiner eigenen Liebe zur Oper handelt.

Dass es nun wirklich drei sind, ist ein lokaler Zufall, aber es sind die drei Fraktionen des Publikums, die jetzt in Carsens Interpretation alle ihre Orange kriegen - und die kunstfremde Aufteilung in Sparten ist ein besonders hübscher Seitenhieb auf die kulturpolitischen Debatten dieser Stadt. Die Bismarckstraße liegt im tiefen Schnee. Wir sind in Charlottengrad.

Ein Russe hat das alles vor nunmehr 91 Jahren in Chicago geschrieben - in französischer Sprache. Ein gebürtiger Kanadier und ein US-Amerikaner haben es zurück gezaubert in die deutsche Hauptstadt der Russen. Ein wunderbares, globales Wintermärchen scheint das zu sein. Die Deutsche Orange jedenfalls duftet und glänzt wie unter dem Weihnachtsbaum.

Nächste Aufführungen: 13., 17., 21., 25. Dezember, Bismarckstraße 35, Berlin-Charlottenburg

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