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Netzwerke Sie sitzen in Parlamenten, schreiben Bestseller und bevölkern die Talkshows: Die Vertreter der Neuen Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch woher kommen eigentlich ihre Ideen? Und wie lassen sie sich bekämpfen? ▶Schwerpunkt SEITE 43–45Die Einflüsterer

von Andreas Speit

Sie sitzen für die AfD in Landesparlamenten, sie sind Buchautoren oder Verleger , sie treten als Akademiker auf oder alsProvokateure, und in den Talkshows der großen Fernsehsender sind sie allgegenwärtig: Die Repräsentanten der Neuen Rechten sind in der Mitte angekommen. Es war ein weiter Weg.

Vor über 50 Jahren, 1964, entstand in Hamburg mit dem „Arbeitskreis Junges Forum“ eines der ersten Netzwerke der Neuen Rechten. Nach dem knappen Scheitern der NPD bei der Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent brach damals eine Debatte los: Sollte man weiter den parlamentarischen Weg verfolgen und an Wahlkämpfen teilnehmen? Insbesondere die Intellektuellen der Szene sahen eine solche Strategie als wenig erfolgreich an. „Die alte Rechte ist tot“, schrieb Alain de Benoist später in „Kulturrevolution von rechts“ (1985), sie habe es „wohl verdient“, da sie „weder Wille noch Ziel“ gehabt habe.

De Benoists Analyse: in die Mitte der Gesellschaft gehen, um im „vorpolitischen Raum“ die Atmosphäre zu beeinflussen. Ganz offen griff der französische Vordenker der „Nouvelle Droite“ auf die Hegemonie-Strategie des italienischen marxistischen Philosophen Antonio Gramsci zurück. Mit diesem Ideenklau inspirierte de Benoist auch die Gründung der Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) und des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Deutschland. Deren führende Köpfe entdeckten die fast vergessene „Konservative Revolution“, eine antiliberale, antidemokratische und antiemanzipatorische Bewegung in den 1920er- und 1930er Jahren, neu für sich. Der Herren-Klub um Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, Carl Schmitt und Arthur Möller van den Bruck ist bis heute ihre Referenzrahmen.

Die Junge Freiheit und das Institut für Staatspolitik etablierten ein neurechtes Milieu, das sich um Lesekreise und Seminare herum organisierte. Und sie lancierten Debatten. Einer ihrer Dauerbrenner ist die deutsche „Holocaust-Religion“, einer ihrer aktuellen Aufreger der „Gender-Wahn“. Unter dem Schlagwort „Gender mich nicht“ versucht die Junge Freiheit besorgte Eltern wegen einer angeblichen Frühsexualisierung durch neue Bildungspläne zu mobilisieren. Gern greifen die Wochenzeitung und das Institut Debatten auf, die aus der gesellschaftlichen Mitte kommen, und befeuern sie. Lange blieben diese diskursiven Bemühungen vermeintlich ohne politische Großerfolge.

Kurz vor der Gründung des Instituts für Staatspolitik im Jahr 2000 legte Mitgründer Götz Kubitschek in der Jungen Freiheit dar: „Wenn wir uns ganz ohne Eitelkeit die Frage stellen, was wir mit unseren Vorträgen, Büchern und Zeitungsartikeln treiben, lautet meiner Meinung nach die Antwort: Wir beteiligen uns an einem Spiel. Das bedeutet: Obwohl wir selbst unsere Arbeit sehr ernst nehmen, werden wir derzeit nicht wirklich gebraucht. Unsere vollkommen abgesicherte Gesellschaft wird durch unsere Warnrufe und Forderungen nicht berührt.“

Doch, so Kubitschek, werde es „nicht immer so bleiben; weil es in meiner Generation sehr, sehr viele Leute gibt, die von diesem saturierten Spiel die Nase voll haben; weil wir unser Pulver trocken halten müssen; und weil die Stimmung für uns arbeitet.“

2016, sechzehn Jahre später, sagt Kubitscheks Frau Ellen Kositza im Rittergut Schnellroda (Sachsen-Anhalt), Wohnsitz der Familie Kositza-Kubi­tschek und Sitz des IfS: „Wir sind im Aufwind, unsere Ideen finden großen Widerhall.“ Gelassen zieht sie, mit dem Autor der taz am Küchentisch sitzend, an einer Zigarette. Ihr Verlag Antaois läuft gut und die von ihnen unterstützte Identitäre Bewegung (IB) agiert medienwirksam. Auf die ersten Fragen allerdings hatte Kubitschek selbst ungehalten reagiert, sie zielten auf den vom AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ausgelösten Richtungsstreit in der rechten Szene.

Später dürfte ihn noch weniger erbaut haben, dass die taz aufdeckte, dass er als neurechter Vordenker mit einem alt-rechten NPD-Mann wie Arne Schimmer zusammenarbeitet. Das müsste „ganz verschwiegen behandelt werden“, schrieb Schimmer in einem Facebook-Eintrag, der der taz vorliegt. Ähnlich liegt der Fall bei der Identitären Bewegung, der Speerspitze der Neuen Rechten, die im Norden eng mit dem burschenschaftlichen Milieu und dem völkischen Siedlerspektrum verwoben ist.

Mit dem gestiegenen gesellschaftlichen Zuspruch ist in dem heterogenen Milieu zwischen Alter und Neuer Rechter die Scheu vor einer Zusammenarbeit gesunken. Die Katalysatoren für diese atmosphärische und politische Koordinatenverschiebung waren die Debatten im Gefolge der Einwanderungs- und Asylpolitik. „Das muss man doch mal sagen dürfen“ und „Ich bin ja kein Rassist, aber ...“ ist dabei bloß der neue Jargon für alte Ressentiments. Denn die Dimension der Erweiterung des Sag- und Wählbaren nach rechts außen spiegeln nicht erst die Wahlerfolge der AfD wieder. Die Zeitdimension der diskursiven Verschiebungen offenbart schon das 1995 von dem neurechten Publizisten Klaus Rainer Röhl veröffentlichte „Phrasenlexikon. Politisch korrekt von A bis Z“. Mit dem Werk wollte der ehemalige Verleger der linken Zeitschrift Konkret und frühere Ehemann der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof vermeintlich humorvoll die „wichtigsten Worte und Redewendungen des politisch korrekten Jargons“ diskreditieren. Heute werden an vielen Stammtischen die „Gutmenschen“ als Meinungsunterdrücker beklagt, und in etlichen Redaktionen wird die Political Correctness als Ursache für den Rechts­trend ausgemacht.

Die erfolgreiche Entwicklung von der Meta- zur Realpolitik gelang der Neuen Rechten nicht allein. Die nachhaltigsten Angriffe auf eine plural-libertäre Gesellschaft erfolgten von renommierten Repräsentanten aus der gehoben Mitte. Thilo Sarrazin mit seinem Migrantenbashing sei „ein Rammbock“ gewesen, räumt Kubi­tschek offen ein. Er sei „auf eine vorher nicht zu ahnende Weise durchgestoßen. Das war eine Resonanzbodenerweiterung für uns, Begriffe wurden ventiliert, die wir seit Jahren zuspitzen, aber nicht im Mindesten so durchstrecken konnten, wie Sarrazin das konnte.“

Die metapolitschen Bemühungen der Neuen Rechten schloss nie ganz eine parteipolitische Bestrebung aus. Eine „Partei rechts der Mitte“, wie der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, sich ausdrückt, wurde in diesem Milieu herbeigesehnt. Etliche AfD-Politiker sind, auch im Norden, eng mit neurechten Netzwerken verbunden.

Dennoch scheiden sich an offen rechts auftretenden AfD-Vertretern wie Björn Höcke die Geister: Immer wieder warnt JF-Chefredakteur Stein vor Höcke, dessen Parteiflügel das Institut für Staatspolitik stark unterstützt. „Merkel, stell den Sekt kalt“, schrieb Stein bereits 2015 und beklagte, dass die „Hasardeure“ der „Höcke-Gruppe“ die AfD in eine „politische Sackgasse“ führen könnten, weil sie für das rechtskonservative Wählerklientel zu weit gingen.

Der Riss ist in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden. So beklagte die Junge Freiheit in einem Kommentar vom 21. April 2017: „Die Gegenseite wartet nur darauf, daß die AfD in die Falle der Selbstradikalisierung und Selbstzerstörung läuft.“ Kubitschek dagegen äußerte tags zuvor auf seinem Internetportal ­sezession.net die Befürchtung, dass die „Hygieneklugscheißer“ in der AfD in ihrer Angst vor sinkender Wählergunst Höcke jetzt mit „Nazigrößen“ vergleichen könnten.

Doch bei allen Differenzen, die Affinitäten bleiben: Sie alle eint der Kulturkampf gegen ein „links-rot-grün verseuchtes 68er-Deutschland“ (AfD-Sprecher Jörg Meuthen).

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