Netzwerk für Feindschaften: Gaza-Krieg auf Facebook
Auf dem virtuellen Schlachtfeld Facebook bekämpfen sich Anhänger von Gaza und Israel ähnlich gewaltsam wie in der Realität - Hassbotschaften und Morddrohungen inklusive.
Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs haben sich auf der Online-Plattform Facebook, die eigentlich der friedlichen Pflege von Freundschaften und Kontakten dienen soll, die Anhänger beider Seiten beschimpft und attackiert – in einer Heftigkeit und einem Ausmaß, die vergleichbare virtuelle Auseinandersetzungen in gewaltsamen Konflikten der vergangenen Jahre weit übersteigen.
So erhielt Joel Leyden, nachdem er am 27. Dezember nur zwei Stunden nach Ausbruch des Krieges seine Facebook-Gruppe "I Support the Israel Defense Forces in Preventing Terror Attacks from Gaza" gegründet hatte, nach eigenen Angaben Dutzende von Todesdrohungen in seinem Postfach. „Die Leute schrieben nicht nur 'Hoffentlich stirbst du!', sondern auch 'Wie willst du sterben?'“ Hamzeh Abu-Abed, der auf der selben Plattform die Gruppe "Let's Collect 500,000 Signatures to Support the Palestinians in Gaza" initiierte, berichtet von ähnlichen Hassbotschaften an seine Adresse. Die Medienwirksamkeit dieses Zusammenschlusses ist beachtlich. Die Mitgliederzahl beläuft sich auf 610.000. Sie haben mittlerweile über 1700 Fotos, 400 Beiträge und 100 Videos online gestellt. Die Gruppe ruft ihre Nutzer dazu auf, Medien, Politiker und selbst den UN-Sicherheitsrat zu kontaktieren und Druck auf Israel auszuüben. Auch durch den Boykott israelischer Waren will man dieses Ziel erreichen. Zudem gibt es eine lange Liste mit Links zu Spendensites, Petitionen, Infos, Nachrichten und Blogs innerhalb und außerhalb von Facebook. Die Gegenseite wartet mit Gruppen wie "I Wonder How Fast I Can Find 100,000 People That Support The Strike in Gaza" auf. Bislang haben sich ihr aber nur 30.000 Nutzer angeschlossen.
Auch der Cyberwar im engeren, technischen Sinne macht nicht vor Facebook halt. Abu-Abeds Website und andere palästinenserfreundliche Webauftritte wurden von einer Gruppierung namens Jewish Internet Defense Force (JIDF) gehackt. Inhalte wurden gelöscht und durch pro-israelische Aussagen ersetzt. Einer der Attackierten ist Online-Aktivist Andrew Silvera. Er bekam eine gefälschte Anfrage eines anderen Nutzers, ob er Administrator einer pro-palästinensischen Gruppe werden wolle. „Als ich darauf klickte, wurde mir klar, dass mit dem Link etwas nicht stimmte. Mein Account verschwand. Er war gekidnappt worden.“ Nach ähnlichen Vorkommnissen schuf Francesco Paris die Gruppe „The 'JIDF' is hacking anti-Gaza seige groups - Is this Democracy?“ . Er erhielt eine Phishing-Mail, die seine Login-Daten ausspionieren sollte. Ein Sprecher der JIDF, der namentlich nicht genannt werden wollte, erklärte gegenüber BBC News, die JIDF sei in keine illegalen Aktivitäten involviert. Er kritisierte Facebook, das trotz tausendfacher Aufforderung durch JIDF-Mitglieder nichts gegen antisemitisches Material unternehme, das den islamistischen Terror fördere.
Facebook-Sprecherin Elizabeth Linder wiederum betont die politische Neutralität der Plattform, die 150 Millionen aktive Nutzer hat und damit als fünftgrößte Website im Internet gilt. „Unser Ziel ist es, die sehr schwierige Balance zu halten zwischen der Meinungsfreiheit unserer Nutzer und der Gewährleistung, dass sich Einzelne und Gruppen nicht bedroht oder gefährdet fühlen“, sagt sie. Man sei gegen Gruppen auf beiden Seiten des Konflikts vorgegangen, gebe dazu aber keine Details bekannt.
Trotz der illegalen Attacken überwiegen die friedlichen Nutzungen des Netzwerks. Die Palette reicht von einem von Joel Leyden errichteten Cyber-Mahnmal für die gefallenen Kinder des Kriegs über eine von einer Facebook-Site gestarteten Londoner Demo zur Unterstützung Israels und studentische Zeitzeugen-Berichte aus dem Gaza-Streifen bis zu einer Unmenge von Logos, Fotos und Slogans auf den Profilen einzelner Nutzer. Sichten kann diese Fülle an Informationen und Propaganda sicher niemand. Doch ist es offenbar vielen Menschen ein Bedürfnis, ihre Haltung via Facebook & Co. öffentlich zu demonstrieren und so ihren - wenn auch noch so kleinen - Einfluss auf das Kriegsgeschehen zu nehmen.
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