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Netzaktivist Beckedahl zur Internet-Enquete"Lobbyverbände finden mehr Gehör"

Die Internet-Enquete des Bundestages geht mit einem äußerst durchwachsenen Ergebnis in die Sommerpause. Internet-Aktivist Markus Beckedahl vermisst vor allem Inhalte und Transparenz.

Kritik von Beckedahl: Die Enquete könnte mit ihrer Arbeit viel weiter sein. Bild: reuters
Interview von Ben Schwan

taz.de: Herr Beckedahl, die von der Politik als große Errungenschaft gefeierte Internet-Enquetekommission, der Sie als Sachverständiger für die Grünen angehören, hat sich am Montag auf Herbst vertagt. Was ist Ihr Fazit, nach gut einem Jahr Arbeit?

Markus Beckedahl: Mein Fazit ist, dass häufig zuviel über prozessuale Fragen und zu wenig über die Inhalte diskutiert wird. Die Enquete könnte mit ihrer Arbeit viel weiter sein als nach über einem Jahr lediglich zwei von zwölf Projektgruppen abgeschlossen zu haben. Auch würde ich mehr Offenheit wünschen, um mehr Menschen motivieren zu können, sich aktiv über die Adhocracy-Bürgerbeteiligungsplattform an der Mitarbeit zu beteiligen. Aber leider ist zuviel Transparenz, vor allem in den Projektgruppen, wo die konkrete Arbeit stattfindet, in der Regel nicht mehrheitsfähig. Am Montag fand sich nicht einmal eine Mehrheit, um die Unterlagen für öffentliche Projektgruppensitzungen öffentlich zu machen. Absurd.

Außer Spesen also nichts gewesen?

So schlecht ist es ja nicht. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Netzneutralität, wofür es noch zu wenig Aufmerksamkeit gibt. Das war jetzt die vergangenen beiden Wochen überdurchschnittlich in den Medien vertreten, die dann auch über die Hintergründe und Debatte berichtet haben. Auch wenn natürlich mehr Aufmerksamkeit unabhängig von Geschäftsordnungstricks wünschenswert wäre. Insgesamt hilft die Enquete-Kommission aber, das Thema Netzpolitik populärer und damit auch relevanter zu machen. Die Erkenntnis setzt sich immer mehr gesellschaftlich durch: Das Internet und die Digitalisierung geht nicht mehr weg. Wir müssen gesellschaftliche Debatten über die richtigen Rahmenbedingungen führen und diese werden durch die Enquete zumindest begleitet. Das führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit für die Themen.

Immerhin wurden Handlungsempfehlungen zum Urheberrecht verabschiedet. Wie gut sind die?

Vieles an dem Text zu Urheberrecht, der weitgehend eine Bestandsaufnahme ist, ist ein Kompromiss. Man muss verstehen, dass es lange Diskussionen gab und extrem verschiedene Positionen unter einen Hut gebracht werden mussten. Immerhin sitzen da auch Dieter Gorny vom Lobbyverband der Musikindustrie und CDU-Politiker am Tisch, die gern härter gegen Internet-Nutzer vorgehen und das Urheberrecht generell verschärfen möchten. Umso mehr freue ich mich über einige konkrete Empfehlungen der Enquete-Kommission, die progressiver sind als in der üblichen politischen Diskussion zu hören ist.

Wie konkret?

Die Enquete-Kommission empfiehlt zum Beispiel Menschen das Recht zu geben, legal erworbene immaterielle Güter auch weiter zu verkaufen. Bisher habe ich meist kein Recht, eine legal erworbene MP3-Datei, ein Spiel oder ein eBook weiterzuverkaufen, im Gegensatz zu physischen Gütern wie einer CD oder einem Buch. Man verkauft eigentlich derzeit immer nur das Trägermedium, also das Papier oder die CD, nicht das was darauf ist, weiter. Das ist absolut unlogisch und das versteht auch kein Verbraucher.

Bild: fiona krakenbürger
Im Interview: 

MARKUS BECKEDAHL, Jahrgang 1976, ist Kopf hinter netzpolitik.org und Vorstand des Vereins Digitale Gesellschaft. In der Internet-Enquete ist er Sachverständiger für die Grünen.

Was noch?

Außerdem empfiehlt die Enquete-Kommission an verschiedenen Stellen ausdrücklich die Förderung freier und offener Lizenzen wie Creative Commons. Das freut mich umso mehr, weil ich mich ehrenamtlich bei Creative Commons Deutschland engagiere. Und dann gab es noch die Empfehlung, dass man Downloads aus dem Netz unter die Privatkopieschranke stellen sollte und gleichzeitig eine Kompensationsmöglichkeit für Urheber schaffen soll. Das umgesetzt könnte den Krieg gegen Filesharing beenden und unnötige Repression vermeiden.

Die Mehrheit sprach sich gegen "Three-Strikes"-Regelungen aus, bei denen Netznutzern der so fundamental wichtige Internet-Zugang gekappt werden soll, wenn sie sich zwei oder drei Mal beim Filme- und Musikklau erwischen lassen. Heißt das nun, dass der Bundestag einer solchen Idee, wie sie in Frankreich bereits umgesetzt ist, nicht zustimmen würde? Anders gefragt: Wie machtvoll ist die Kommission?

Die Kommission gibt Empfehlungen ab, die die Politik übernehmen kann - oder auch nicht. Es sind ja einige Empfehlungen der letzten Enquete-Kommission aus den 90ern letztendlich nicht umgesetzt worden, beispielsweise zur Reform der Verwertungsgesellschaften. Gesetze werden in der Enquete eben nicht gemacht.

Konkret zur Three-Strikes-Debatte...

...hat die Enquete festgestellt, dass eine Lösung wie in Frankreich keine gute Idee ist, nämlich eine Überwachungsbehörde zu schaffen und Nutzern nach wiederholten Verwarnungen bei Urheberrechtsverstößen bis zu einem Jahr lang das Internet wegzunehmen. Das fordern Lobbyverbände der Unterhaltungsindustrie und einige Politiker auch für Deutschland. Es ist aber umstritten, ob eine solche "französische" Lösung überhaupt verfassungsgemäß sein kann. Ich befürchte aber, dass man im Rahmen der sogenannten dritten Korbes der Urheberrechtsgesetznovelle andere Wege suchen wird, die in dieselbe Richtung gehen. Die Bundesregierung hält sich da noch bedeckt, aber ihre Rhetorik weist in diese Richtung.

Haben Sie einige der Entscheidungen bei den Handlungsempfehlungen überrascht?

Einige der Empfehlungen kamen mit überraschenden Mehrheiten zu Stande, was aber positiv für die manchmal in Frage zu stellende Unabhängigkeit der Sachverständigen gerade bei den Koalitionsparteien gedeutet werden kann. Manche Mehrheiten sind vielleicht aber auch auf die Verwirrung zurückzuführen, die manchmal herrscht. Wenn im 20-Sekunden-Takt Änderungsanträge abgestimmt werden, verlieren offenbar vor allem auf Seiten der Koalition die Mitglieder häufiger einmal die Orientierung.

Sie selbst haben Demokratiedefizite innerhalb der Enquete bemängelt. Was konnten Sie selbst als Nichtpolitiker hierbei lernen?

Die Nutzung von Geschäftsordnungstricks kannte ich vor dem Beginn der Enquete schon aus anderen Zusammenhängen. Aber mich überrascht dann doch immer wieder die konkrete Anwendung und die Kreativität, sich eine Geschichte auszudenken, damit man zum Beispiel eine Sitzung abbrechen kann, wenn die eigene Mehrheit bei inhaltlichen Fragen nicht da ist.

Glauben Sie, dass die Politik den Rat der Netzexperten, die in der Enquete durchaus vertreten waren, ernsthaft annimmt?

"Die Politik" ist ja viel. Wir können zumindest inhaltlich mitdiskutieren und unseren Standpunkt sowie unsere Argumente vorbringen. Ob die von allen Teilnehmern auch gehört und akzeptiert werden, ist eine andere Geschichte. Bei einigen Politikern sind bestimmte Lobbyverbände näher dran und finden mehr Gehör. Diese vertreten in der Regel andere Positionen, als wenn man sich aus einer Verbraucher- und Bürgerrechts-Sicht den Themen nähert. Ich war aber auch positiv überrascht, dass beispielsweise einige junge Abgeordnete aus der CDU/CSU dem Thema gegenüber sehr aufgeschlossen sind und dazu lernen wollen. Dafür kriegen sie sicher häufiger auch Ärger mit ihren Abgeordnetenkollegen in der Fraktion.

Das Thema Netzneutralität, Sie hatten es erwähnt, ist so eine Sache, die den Aktivisten sehr wichtig wäre, in der Politik aber nach wie vor nicht als wichtig angesehen wird - Motto: die Wirtschaft macht es schon.

Die Bundesregierung und die Koalition sind der Meinung, dass der Markt schon für Netzneutralität sorgen wird. Ich bin von der Argumentation nicht überzeugt, das haben wir ja so ähnlich auch bei den Finanzmärkten gehört.

Was genau ist Ihr Problem?

Ich habe immer noch nicht verstanden, warum etwa das Blockieren von bestimmten Protokollen wie der Internet-Telefonie (VoIP) in einigen Mobilfunknetzen kein Verstoß gegen die Netzneutralität und das Prinzip eines offenen Netzes darstellen soll und nicht sanktioniert werden sollte. Das ist für mich eindeutig eine Diskriminierung und Benachteiligung und eine Abkehr vom Prinzip eines offenes Netzes, das das Internet erst so groß und lebenswert gemacht hat. Genau genommen wird da kein Internet verkauft, sondern ein minderwertiges Produkt. Wenn Telekommunikationsunternehmen einfach entscheiden können, dass bestimmte Services oder Protokolle ausgeschlossen oder verlangsamt werden, haben wir ein Problem.

Kontrollinstanzen gibt es doch, sagen Politiker der Koalition.

Die Bundesnetzagentur als Kontrollinstanz des Marktes verfügt gar nicht über die Ressourcen, um die Telekommunikationsanbieter ausreichend überwachen zu können. Und für das mobile Internet will die Bundesnetzagentur gar nicht verantwortlich sein. Gerade hier sehen wir die meisten Verstöße und das mobile Netz wird an Bedeutung noch mehr zunehmen. Die Niederlande machen es gerade vor und schaffen eine gesetzliche Grundlage, um Missbrauch und Diskriminierung und gleichzeitig auch Echtzeit-Schnüffeleien im Datenverkehr, die die Provider euphemistisch Netzwerkmanagement nennen, zu verbieten. Wir brauchen auch in Deutschland klare Regeln, um ein offenes und diskriminierungsfreies Netz zu erhalten. Wer seinen Kunden Internet verspricht, sollte genau das dann auch liefern müssen.

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