: Nette Leute und runder Tisch
■ Lübeck zwei Wochen nach dem Anschlag: Keine Blumen und Kerzen mehr vor der Synagoge / Hansestadt fürchtet ums Image
Zwei Wochen nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge ist in der St. Annen-Straße äußerlich wieder Ruhe eingekehrt. Die Marmeladengläser, die als Windschutz für Mahnkerzen dienten, und die vertrockneten Blumen sind weggeräumt. Ein Maler streicht Fensterrahmen, eine Putzfrau entfernt mit dem Spachtel Reste von Plakaten an der Backsteinfassade. Die Polizeiwagen sind abgerückt. Allerdings gehen Beamte seit dem Brandanschlag rund um die Uhr Patrouille.
Die Stimmung der wenigen in Lübeck lebenden Juden, berichtet der Landesvorsitzende der Deutsch-Jüdischen Gesellschaft Schleswig-Holstein, Peter Gutt-kuhn, sei inzwischen wieder relativ gelassen. Ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde habe ihm gesagt: „Der Antisemitismus ist nicht am 25. März in Lübeck geboren worden. Er besteht seit langem und wird weiterbestehen“. Es habe aber einen wesentlichen Unterschied zu Nazi-Deutschland gegeben: Kirchen und Bevölkerung hätten sich einmütig an die Seite der Juden gestellt.
Wesentlich empörter seien nichtjüdische Mitglieder der Gesellschaft, betont Guttkuhn. Dies sei gut und richtig, denn: „Wir dürfen nicht die Ohren zumachen und nicht die Augen verschließen wie 1938“. Mehrere tausend Menschen verschiedener Nationen haben sich in das Gedenkbuch im Rathaus eingetragen. Ihrer Empörung machten auch viele Lübecker in Leserbriefen der Lokalpresse Luft. „Wir schämen uns nicht,“ schrieben demgegenüber andere Leser. Sie würden sich zwar nicht etwa mit den Tätern identifizieren, aber „dumme Menschen“ gebe es in jedem Volk.
Meinungsunterschiede wurden auch im Lübecker Senat deutlich. Der für den Tourismus zuständige CDU-Senator Wolfgang Halbedel empfahl eine Anzeigenkampagne zur Imagerettung. SPD-Bürgermeister Michael Bouteiller hält nichts von dem Vorschlag. „Es hat doch wenig Sinn, zu inserieren, wir Lübecker seien nette Leute und man möge uns bitte weiterhin besuchen“, meint der Verwaltungschef.
Sie habe noch keinen Termin streichen müssen, weil eine Gruppe abgesagt hätte, erzählt eine Fremdenführerin der Stadt. Die Lübeckbesucher kämen, um sich die Marienkirche oder das Buddenbrookhaus anzusehen. In der zweiten Aprilhälfte soll sich dennoch ein „Runder Tisch“ – angeregt von Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller – mit der Problematik beschäftigen.
Konrad Dittrich
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