Netflix-Serie über Roma: Das Gegenteil von gut

Die Netflix-Serie „Infamia“ über die Rückkehr einer Roma-Familie nach Polen zeigt Mut – und kommt am Ende doch nicht über Klischees hinaus.

Zwei Männer, sich umarmend

Mehr als ein Klischee? Szene aus „Infamia“ Foto: Piotr Litwic/Netflix

Der Trend hin zu länderspezifischen Serien auf Netflix ist ungebrochen und bringt bisweilen für die jeweiligen Gesellschaften herausfordernde Formate hervor. Die gerade erschienene polnische Produktion „Infamia“ behandelt ein Thema, an das sich Filmschaffende bislang kaum herangewagt haben: Eine Drama-Serie über eine Roma-Familie, die nach einem langjährigen Wales-Aufenthalt in ihre Heimat Polen zurückkehrt. Protagonistin ist die 17-jährige Gita, die davon träumt HipHop-Künstlerin zu werden. Der Umzug ihrer Familie in die alte Heimat ist dabei ein herber Rückschlag. Neben Vorurteilen und überkommenen Moralvorstellungen der eigenen Verwandten schlägt der Familie in Polen auch der Rassismus der polnischen Mehrheitsgesellschaft entgegen.

Zunächst macht die Serie einiges richtig: dem Zuschauenden wird der Hass gegen die Roma-Familie sehr eindrücklich vor Augen geführt. Dies beginnt im Schulalltag von Gita, die ­deshalb versucht, ihre Herkunft an ihrer polnischen Schule ­geheim zu halten, und gipfelt im ­brutalen Mord an Tagar, dem Freund von Gita.

Tagar stammt aus einer armen Roma-Siedlung und wird von seinen polnischen Mitschülern brutal umgebracht. Auslöser dafür ist ein fataler Zwischenfall mit Tagars Hund, in dessen Folge eine polnische Passantin eine Frühgeburt ­erleidet. Der brennende Hass der Mehrheitsgesellschaft richtet sich gegen den jungen Mann, der selbst von der polnischen Polizei keine Hilfe zu erwarten hat. In einer anderen Szene stehen mehrere Beamte ­abwartend daneben, während er brutal ­zusammengeschlagen wird.

Hoch problematisch und klischeehaft ist dagegen die Darstellung von Gitas Familie. Ihr Vater ist spielsüchtig und hat viele Schulden, weshalb er seine Tochter gegen eine hohe Summe in eine tschechische Roma-­Familie zwangsverheiraten will – Geschäftspartner des Onkels von Gita, der es mit illegalem Tablettenhandel zu einigem Reichtum gebracht hat. Die weiblichen Figuren in ­Gitas Familie werden allesamt als unmündig dargestellt, fest den starren Regeln des Patriarchats folgend. Einzige Ausnahme ist die Großmutter, ihr wird in der Familie Respekt gezollt. Sie schafft es bisweilen, aus den Denkgewohnheiten auszubrechen und Verständnis für die Lage ihrer Enkelin aufzubringen. Und hier wird das größte Problem der Serie offenbar: Die Ursachen für den gesell­schaftlichen Rassismus gegen die Roma werden in deren Verhalten gesucht und hier auch gefunden.

Ohne Pogrome

Überhaupt zementiert die Serie ein massives Othering: hier die Roma, die scheinbar eigenen Kulten und überkommenen Riten folgen und dort die Polen, die katholisch und zumindest in manchen Personen sympathisch und progressiv in der Serie auftreten. Das auch die Roma überwiegend dem christlichen Glauben angehören, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs an Fehlern. Die Realität ist viel brutaler. Davon zeugen die zahlreichen Pogrome gegen Roma – 1981 ausgerechnet in Oświęcim, dem früheren Auschwitz – und 1991 in Mława. Doch davon erfährt der Zuschauende nichts.

Ebenfalls unerwähnt bleiben transgenerationelle Traumata infolge des NS-Völkermords an der Minderheit – das Verbrechen spielt keine Rolle in der Serie, obwohl es auch die polnischen Roma-Familien für Generationen zerstört und ihnen die ökonomischen Lebensgrundlagen genommen hat. Zwar sprayen in einer Zwischensequenz Vermummte einmal den Slogan „Zigeuner ins Gas“ auf ein Auto von Gitas Verwandten, über ein kurzes Beklagen der Familie darüber wird dies jedoch nicht weiter thematisiert. Und ein weiteres gravierendes Problem hat die Serie: Der „Zigeuner-Begriff“ wird in der deutschen Synchronisation ebenso als Fremd- wie auch als Eigenbezeichnung verwendet. Im Original wird zwar auch das Wort „cyganka“ gebraucht, welches auch in Polen als abwertende Fremdbezeichnung genutzt wird.

Doch selbst wenn einzelne Angehörige der Minderheit den Begriff infolge einer selbstdefinitorischen Umdeutung benutzen sollten, so müssen sich Filmschaffende ihrer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein. Besonders in der deutschen Synchronisation muss man mehr als sensibel mit dem Begriff umgehen – an dem Wort kleben Blut und Leid.

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