Netanjahus Besuch in Washington: In der „Flügel von Zion“ gen USA
Der israelische Premier will mit einer Rede vor dem US-Kongress punkten. Einige Geiselangehörige begleiten ihn, andere wollen gegen ihn demonstrieren.
Im brandneuen Regierungsflieger „Flügel von Zion“ macht sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf in die USA. Mit an Bord ist nicht nur die übliche Armada von Beratern, Sicherheitskräften und mitreisenden Journalisten – sondern auch Angehörige von Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas befinden, sowie eine befreite Geisel selbst, Noa Argamani.
Die Diskussion um die Mitreise Argamanis und der Angehörigen offenbart, unter welchen innerisraelischen Spannungen Netanjahu seine Reise antritt. Shelly Shem-Tov, Mutter des am 7. Oktober vom Nova Festival entführten Omer, berichtet, sie habe die Einladung des Premiers in letzter Sekunde angenommen. Seit neun Monaten warte sie darauf, dass ihr Sohn zurückkomme.
„Nun habe ich mich entschlossen zu handeln“, sagt sie über ihre Entscheidung. Und: „Ich fliege, um meinem Schrei und dem aller Familienangehörigen von Geiseln Gehör zu verschaffen. Es ist Zeit, das Abkommen zu unterzeichnen, um sie nach Hause zu bringen“.
Parteichef von Linksbündnis verurteilt Netanjahus Reise
Nun sei allerdings nicht die Zeit für eine Reise, sagt hingegen Ayelet Levy Shachar, deren Tochter Naama am 7. Oktober von dem Armee-Außenposten Nahal Oz entführt wurde. An den Regierungschef gewandt, sagt sie: „Netanjahu, erst ein Deal, dann kannst du reisen“.
Auch Yair Golan, der Chef des neugegründeten linken Parteienbündnisses Die Demokraten, verurteilt Netanjahus Reise deutlich. Sie sei eine „korrupte PR-Kampagne“ für „inländische Zwecke“ und habe nichts mit Israels Beziehung zu „seinem wichtigsten Verbündeten“ zu tun.
Die Unterzeichnung des Abkommens, das Levy Shachar fordert, schien in den vergangenen Monaten oft ganz nah und dann doch wieder fern. Die Hamas soll die Geiseln freilassen, und Israel im Gegenzug dafür – so die Forderung der Hamas – den Kampf in Gaza ganz einstellen.
Vertreter von Geiselangehörigen reisen in die USA
An dieser Forderung der dauerhaften Waffenruhe scheitert der Deal bis heute. Jedes Mal, wenn ein Fortschritt möglich scheint, rudert eine der beiden Parteien zurück – jüngst Benjamin Netanjahu, als er noch weitere vier Bedingungen aufstellte.
Das israelische Militär müsse seine Präsenz im Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten behalten dürfen, erklärt er unter anderem. Und es müsse die Option behalten, in Gaza zu kämpfen, bis seine Kriegsziele erfüllt seien. Diese Ansagen stoßen nach Medienberichten auch bei mit der Causa befassten israelischen Offiziellen und Militärs auf Unverständnis, wie auch bei vielen Geiselangehörigen selbst.
Andere Vertreter von Angehörigen reisen nun ebenfalls in die USA – nicht mit ihrem Premier, sondern um gegen ihn zu protestieren. Die große Demonstration soll stattfinden, während Netanjahu am Mittwoch vor dem US-Kongress spricht.
Die Rede hält er auf Einladung der US-Republikaner. Und während der republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, bereits ankündigte, dass die Polizei jeden festnehmen werde, der versuche, Netanjahus Ansprache zu stören, wollen einige US-Demokraten der Rede ganz fernbleiben. Sie haben angekündigt, Netanjahus Auftritt einfach ganz zu boykottieren und zeigen damit auch, wie kompliziert und vorbelastet das Verhältnis der US-Politik zu Netanjahu ist.
Netanjahu könnte von Bidens Rückzug profitieren
Während der Rücktritt des amtierenden US-Präsidenten Joe Bidens von seiner erneuten Kandidatur um das Amt in den USA für Tumulte sorgt, könnte Netanjahu letztlich davon profitieren, analysiert das israelische Medium The Times of Israel. Die Demokraten würden nach dem Rückzug der Kandidatur wohl vermeiden wollen, dass sich die Partei über den Boykott der Rede für die Republikaner einfacher angreifbar macht.
Es sei möglich, dass nun weniger Demokraten der Rede fern blieben. Auch Biden werde sich öffentlich wohl weniger auf die bekannten Meinungsverschiedenheiten konzentrieren – etwa darauf, dass Netanjahu nach wie vor keinen Plan für ein Nachkriegsgaza hat. US-Außenminister Antony Blinken hat derweil angekündigt, dass Netanjahu während seines Besuches eben diese Pläne für den Gazastreifen skizzieren werde.
Am Donnerstag soll Israel nach zweiwöchiger Unterbrechung an den Verhandlungstisch zurückkehren. Der Premier habe mit ihnen vor seiner Abreise gesprochen, erklärte sein Büro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!