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■ Netanjahu bricht Europareise wegen Hisbollah-Gefechten abDer Rückzug wird kommen

„Die Macht kommt aus den Gewehrläufen und nicht aus dem schönen Gesicht“, sang einst der ostdeutsche Barde Wolf Biermann. Wenn der Satz noch eine Berechtigung hat, dann im Nahen Osten. Die islamisch-libanesische und wohl auch palästinensische Widerstandsorganisation Hisbollah setzt der israelischen Armee in einem Maße zu, daß der Ministerpräsident des Landes seine Europareise abbricht. Vergeltungs- und Verteidigungsmaßnahmen sollen diskutiert werden.

Aber Israel ist nicht in der Lage, die Guerillakämpfer der Hisbollah zu besiegen, und wenn Israels Truppen noch 20 Jahre im Libanon bleiben. Erhöhen wird sich die Zahl gefallener Soldaten und getöteter Kämpfer. Doch eine politische Lösung ist dies nicht.

Netanjahu wird mit Syrien verhandeln müssen, um dem „libanesischen Sumpf“ zu entkommen. Für die Sicherheit an Israels Nordgrenze wird er einen Preis bezahlen, und der wird nicht geringer ausfallen als ein vollständiger Rückzug von den Golan-Höhen.

Sowohl die Syrer als auch die Libanesen wissen, daß sie zumindest der südlibanesischen Armee, also den Kollaborateuren Israels, eine Art Amnestie gewähren müssen. Selbst wenn ein Teil von ihnen Aufnahme in Israel finden wird oder muß. Die Hisbollah an der Nordgrenze Israels wird nicht unbedingt eine Bedrohung für Israel sein. Die Befreiung palästinensischer Gebiete sei Sache der Palästinenser, ist bislang das Argument der Hisbollah. Ob die islamische Organisation allerdings weiterhin eine Rolle im syrischen oder iranischen Kalkül spielen wird, bleibt ungewiß. Dieses Risiko würde Israel bei einem Rückzug eingehen. Obwohl die Hisbollah israelische Städte und Dörfer erreichen könnte, hat sie es bisher eben nicht getan. Auch das sollte als Indiz für ihre zukünftige Strategie betrachtet werden. Voraussetzung wäre allerdings wohl, daß Israel die Hisbollah-Gefangenen und Entführten, die seit Jahren in israelischen Gefängnissen sitzen, freiläßt. Dies wäre kein Zeichen der Güte, sondern des Willens zum Frieden.

Es mag dauern und noch vieler Verhandlungen bedürfen, aber Israels Rückzug aus dem Libanon ist eine ausgemachte Sache. Und es wäre gar nicht so falsch, wenn der Rückzug von einer rechtsgerichteten Regierung wie der Netanjahus vollzogen würde. Über kurz oder lang wird er es sicherlich auch. Und das nicht zuletzt zum Wohle der israelischen Soldaten, die nicht mehr in einem sinnlosen Krieg geopfert werden müssen, weil der politischen Führung Ideen fehlen. Georg Baltissen

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