Nepal verweigert Staatsbürgerschaft: Männlicher Nationalismus
Nepal will sich bis Donnerstagnacht eine Verfassung geben. Millionen Menschen könnte danach die Staatsbürgerschaft versagt bleiben.
KATHMANDU dpa | Viele Male schon wurde Deepti Gurung von den Beamten in Nepal gedemütigt. „Hier kommt die jungfräuliche Mutter“, verhöhnte sie etwa der Behördenchef ihres Distrikts einmal. Andere in den Amtsstuben des Himalaya-Landes fragten: Wie kannst du denn Mutter sein, wenn du nicht verheiratet bist? Oder: Wenn du keinen Ehemann hast, wie kannst du dann Kinder haben?
Dabei wollte die 41 Jahre alte Gurung nur einen Ausweis für ihre beiden Teenager-Mädchen beantragen. Das Dokument ist in Nepal notwendig, um zu wählen, einen Führerschein zu beantragen, um zum studieren, ein Bankkonto zu eröffnen, ein Haus zu kaufen oder einen Reisepass für Auslandsreisen zu bekommen.
Das Problem ist: Die Staatsangehörigkeit wird im patriarchalischen Nepal traditionell vom Vater vererbt. Und wenn dieser unbekannt ist oder weggezogen oder er seine Kinder nicht anerkennt oder er keine Dokumente hat - dann sind die Kinder staatenlos. Nach Schätzungen des Forums für Frauen, Gesetze und Entwicklung haben in Nepal rund 4,3 Millionen Menschen keine Staatsangehörigkeit. Das ist fast ein Viertel der Menschen über 16 Jahren dort.
Diwakar Chettri zum Beispiel ist in Nepal „gefangen“, wie er sagt. Dass er staatenlos ist, merkte der Mann Anfang 40 erst, als seine Mutter den Ausweis des toten Vaters nicht finden konnte. „Nepal hat internationale Rechte zur Gleichstellung von Mann und Frau ratifiziert, aber befolgt sie nicht“, ärgert er sich.
Ungleiche Rechte für Männer und Frauen
Die Situation für Männer und Frauen in Nepal ist derzeit alles andere als gleich. Ein Nepalese, der eine Ausländerin heiratet, kann seine Staatsbürgerschaft sofort auf sie übertragen. Heiratet ein Ausländer hingegen eine Nepalesin, so muss er 15 Jahre warten, ehe er die Staatsbürgerschaft beantragen kann. „Das ist ein sehr männlicher Nationalismus“, ärgert sich der Rechtsanwalt und frühere Abgeordnete Pradhan Malla.
Und selbst dort, wo Egalität herrschen sollte, gilt sie nur auf dem Papier. Nach dem Bürgerkrieg gab sich das Land 2006 eine vorläufige Verfassung. In dieser steht, dass es für die Kinder reicht, wenn einer der beiden Elternteile Nepalese ist. Doch dieses Recht bleibt - wie Deepti Gurung und unzählige andere alleinerziehende Mütter ständig erfahren - meist im Behördenapparat stecken. Und so können Tausende Nepalesen nicht studieren oder zum Arbeiten in den Nahen Osten gehen, wie es Millionen ihrer Landsleute machen.
Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Derzeit arbeitet das Parlament - das sich fast ausschließlich aus Männern zusammensetzt - an einer neuen Verfassung. Bis Donnerstagnacht soll sie verabschiedet sein. Im aktuellen Entwurf steht laut Aktivisten: Damit Kinder die Staatsbürgerschaft erhalten können, müssen „Vater und Mutter“ Nepalesen sein. Der Vorschlag der Betroffenen, stattdessen wie in der vorläufigen Verfassung „Vater oder Mutter“ zu schreiben, wurde demnach nicht aufgenommen.
„Meine Töchter sind mein ganzer Stolz. Ich habe mein Bestes gegeben, um sie großzuziehen“, sagt die Mutter Gurung. „Aber jetzt steht ihnen die Gesellschaft im Weg. Ihre Freunde reisen ins Ausland. Und sie wissen, dass sie das Land nicht verlassen können.“
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