: Neonazi in Barcelona vor Gericht
■ In Spanien findet erstmals ein Prozeß gegen einen führenden Neonazi statt. Der Großhändler vertrieb weltweit Naziliteratur
Madrid (taz) – Jahrelang war Pedro Varela der Mittelpunkt der europäischen Naziszene. Seit gestern steht der 41jährige ehemalige Vorsitzende der spanischen Neonaziorganisation, dem Spanischen Kreis der Freunde Europas (Cedade), in Barcelona vor Gericht. Ihm wird „Aufstachelung zum Rassenhaß und das Leugnen von Völkermord“ vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft fordert dreieinhalb Jahre Haft, die als Nebenkläger auftretenden jüdischen Gemeinden der spanischen Nordregion Katalonien und die Gruppe SOS-Rassismus siebeneinhalb Jahre. Das Verfahren ist das erste seiner Art, da in Spanien erst seit der Einführung des neuen Strafgesetzbuches vor drei Jahren nazistische Delikte strafbar sind.
Unter Ausnutzung dieser Gesetzeslücke hatte Varela ein regelrechtes Vertriebsimperium aufgebaut. Das brachte eine Razzia der katalanischen Autonomiepolizei Mossos d'Esquadra am 11. Dezember 1996 in der auf Varela und Cedade angemeldeten Buchhandlung Europa in Barcelona an den Tag. Bei der Aktion beschlagnahmten die Beamten insgesamt 20.972 Bücher, darunter Titel wie „Der Mythos Anna Frank“, ein Werk, in dem das Tagebuch der jüdischen Jugendlichen als „Erfindung Hollywoods“ abgetan wird. 400 Plakate, 34 Kassetten, über 200 Flugblätter und 105 Videos mit rassistischen Filmen aus Hitlerdeutschland vervollständigten die makabre Sammlung. In einem anliegenden Lokal fand die Polizei eine Offset-Druckerei, mit der die Naziszene weltweit mit Propaganda bedient wird.
In einer Kartei mit 1.400 Adressen fanden sich auch die Namen der deutschen Nazigrößen Manfred Roeder und Meinold Schönborn. Natürlich belieferte der Verleger aus Barcelona auch die mittlerweile verbotene Aktion Nationaler Sozialisten (ANS) von Michael Kühnen und die Nationalistische Front (NF). Mit dem in Kanada lebenden deutschen Naziideologen Ernst Zundel finanzierte der Cedade-Chef mit 35.000 US-Dollar ein Forschungsprojekt, das beweisen soll, daß es die Gaskammern nie gab.
Die Franco-Diktatur bis 1975 und die anschließende Straffreiheit für nazistische Delikte hat die Iberische Halbinsel in eine Zufluchtstätte der internationalen Naziszene verwandelt. Der ehemalige SS-General Wolfgang Jugler lebt ebenso ungestört in Spanien wie der in Deutschland wegen publizistischer Tätigkeit zu 22 Monaten Haft verurteilte Offizier der Waffen-SS, Otto Remen, dessen Auslieferung Spanien erst vergangenen Februar ablehnte.
Varela, der 1992 in Österreich zu vier Monaten Haft verurteilt wurde, weil er öffentlich den Holocaust leugnete, unterstützte die flüchtigen Gesinnungsgenossen, wann immer er konnte. So verbreitete der österreichische Neonazi Gerd Honsik von Barcelona aus sein Blatt Halt, sein Landsmann Walter Ochsenberger den Sieg. Beide sind jetzt abgetaucht. Vermutlich leben sie an der Costa del Sol. Der Versuch der Nebenkläger, die Anklage gegen Varela um den Punkt „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ zu erweitern, um so seiner Freunde mit habhaft zu werden, scheiterte am Ermittlungsrichter. Reiner Wandler
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