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Neoliberale FitnessangeboteDehnen ist nichts für Gewinner

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Das Fitness-Startup Beat81 bietet maximal effizientes Zirkeltraining. Im Zentrum stehen Quantifizierung, Selbstoptimierung und Anonymität.

Das neoliberale Traumversprechen von Beat81: Maximale Effizienz in kürzester Zeit Foto: Henning Kaiser/dpa

B evor ich reingehe, werfe ich alle meine Prinzipien über Bord. Drinnen trifft alles aufeinander, was ich verabscheue: Gentrifizierung, Leistungs- und Optimierungszwang, Vereinzelung. Das Schlimmste daran: ich bin trotzdem hier.

Paul-Linke-Ufer, 6.30 Uhr morgens: Yuppies marschieren in Designer-Sportoutfits in den Keller eines alten Fabrikgebäudes. „BEAT 81“ prangt hier in roten LED-Lettern an der Wand. Der Raum ist stockduster, aus den Boxen dröhnt „Skrillex“-Musik, die klingt wie ein Kreissägenmassaker. Muskulöse Frühaufsteher nehmen sich einen Sensor und schnallen ihn sich um den Bauch. Er misst die Herzfrequenz und den Kalorienverbrauch.

Die Idee des Berliner Fitness-Start-ups: Zirkeltraining bei über 81 Prozent der maximalen Herzfrequenz. So soll der Stoffwechsel angekurbelt, Fett schneller verbrannt und Muskelaufbau beschleunigt werden. Bis zu 1.000 Kalorien soll man in 45 Minuten verbrennen können. Maximale Effizienz in kürzester Zeit. Das neoliberale Traumversprechen.

„Welcome to Beat81!“, ruft der voll tätowierte Terminator-Trainer ins Mikro. Er erklärt die Stationen, dann springen alle los: Liegestütze, Burpees, Kniebeugen. In der Mitte: ein Bildschirm, der die Leistung der Teil­neh­me­r live anzeigt. Kalorien, Herzfrequenz, Name und Bild. Wer über 80 Prozent kommt, leuchtet rot auf. Wer darunter bleibt, blau – peinlich. Foucault wäre stolz, Fitness meets Panoptikum.

Das Gegenteil von gemeinschaftlichem Vereinswesen

Hier geht es nicht um Gemeinschaft, es geht um Konkurrenz. Das Ziel: besser als der Durchschnitt sein. Dabei wollte der Beat81-Gründer, ehemaliger McKinsey-Berater, mit dem Start-up doch das „Anti-Metaverse“ erschaffen, so erklärte er es zumindest der Gründerszene. Der Versuch ist weit fehlgeschlagen. Auch weil die Trainings über Urban Sports Club angeboten werden, wo man ohne Premium-Abo nur viermal im Monat das gleiche Studio besuchen darf.

Die anonymen Hamster sind inzwischen bei der „Challenge“ angekommen. Das Ziel: die Herzfrequenz noch mal richtig hochballern. Alle springen und boxen wild in die Luft, wie bei einem schlecht choreografierten Harlemshake.

Dann ertönt ein erlösendes Geräusch und alle fallen synchron zu Boden. Nicht, weil sie erschöpft sind, nein. Das ist die nächste Challenge: Die Herzfrequenz schnellstmöglich runterbekommen. Wer entspannt sich am diszipliniertesten? „Sammelt eure Erholungspunkte“, haucht der Trainer mit sanfter Stimme, als würde er eine Einschlafgeschichte vorlesen und nicht Leistungssubjekte zum Quantifizieren und Optimieren triezen.

Auf dem Screen knallt digitaler Konfettiregen, dann erscheint das Ranking. Wer hat am meisten Kalorien verbrannt? Wer bei höchstem Puls trainiert? Wer sich am schnellsten erholt?

Zum Schluss wird sich gedehnt – natürlich nur, „falls ihr 3 Minuten Zeit habt“. Hat keiner. Der Körper soll schließlich performen, nicht entspannen. Die Hustle-Crew verschwindet eilig in Richtung Büro. Ein paar Low-Performer bleiben. Per Mail kommt später die volle Datenladung: Puls, Kalorien, Erholungspunkte – falls es mit der Quantifizierung noch nicht gereicht hat.

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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