piwik no script img

Neid, Wut, Kränkung Maja Göpel und der böse Geist

Bestsellerautorin Maja Göpel hatte journalistische Unterstützung? Über den Versuch, eine öffentliche Intellektuelle zu diskreditieren​.

Maja Göpel picture alliance/dpa

Von WOLF LOTTER

taz FUTURZWEI, 12.08.22 | In der Wochenzeitung Die Zeit erschien am 10. August 2022 eine Story mit dem Titel „Maja Göpel und der gute Geist“, in der die ungewöhnlich populäre Transformationsforscherin angeklagt wird, bei ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ aus dem Jahr 2020 einen Ghostwriter verschwiegen zu haben. Von dem Buch wurden mehr als 270.000 Exemplare verkauft. Die Politökonomin erhielt in der Folge zwei renommierte Preise, den Theodor-Heuss-Preis und den Erich-Fromm-Preis.

Maja Göpel ist heute zweifelsohne einer der meistgefragten öffentlichen Intellektuellen in Deutschland. Und sie ist im Gespräch für einen Thinktank am DIW (Deutsches Institut für Wirtschaft). Viel Ruhm. Viel Anerkennung. Viel Aufmerksamkeit.

Stefan Willeke, Mitglied der Chefredaktion der Zeit und Autor des Stücks über Göpel, macht das Vergehen der Transformationsforscherin an einem Satz fest, der auf Seite 18 ihres Buchs steht. „Und deswegen schreibe ich dieses Buch.” Kann sie, darf sie das so sagen? Müsste sie nicht darauf hinweisen, dass sie ihren Knüller in ganz wesentlichen, zumindest stilistischen Teilen dem Journalisten Marcus Jauer verdankt? Nee, sagt der, den das am meisten angeht, nämlich Jauer. Denn er wollte gar nicht genannt werden. Ein Ghostwriter ist ein Ghostwriter. Sein Job ist es, Leuten, für die flüssig-flotte Schreibe nicht zum Alltag gehört – das ist Göpels recht realistische Eigeneinschätzung – ihre Thesen attraktiv rüberzubringen. Sachbücher von Promis sind fast immer das Ergebnis solcher Kooperationen. Nichts besonderes. Bis jetzt zumindest.

Göpel kann plausibel nachweisen, dass sie mehr als einmal Jauer gedrängt hat, als öffentlich genannter Co-Autor aufzutreten. Es gibt Korrespondenz dazu. Jauer wurde, anders als viele wissenschaftliche Zuarbeiter, etwa Assistenten für Professoren an Universitäten, sehr anständig bezahlt – Göpel und er machten 50:50. Die faire Rechnung wird allerdings auch zum Vorwurf: Zeigt sich da nicht das schlechte Gewissen von Göpel? Ist denn so viel Teilen mit dem Ghostwriter üblich?

Für das akademische Establishment sind Intellektuelle und freie Forscherinnen wie Göpel ein Dorn im Auge

Auf Twitter gerieten sonst kaum wahrnehmbare Berufsakademiker in Rage. Eine Ethikfachfrau behauptete, Göpels Buch sei als wissenschaftliche Arbeit – nicht als Sachbuch – veröffentlicht worden, und das wäre ein grandioser Etikettenschwindel, der auch rechtlichen Folgen haben müsse. Es dampft vor Empörung. An anderer Stelle wird Göpels Verhalten „unanständig” genannt. Der Leiter eines Wirtschaftsinstituts in Hamburg raunt, wie es denn sein könne, dass eine Wissenschaftskommunikatorin – das ist Göpels Eigenbezeichnung – denn einen Ghostwriter brauche?

Interessant ist, dass inhaltliche Kritik an Göpels Arbeit nicht auftaucht. Es geht immer nur um eins: ihre Sichtbarkeit, ihre Prominenz, der Vorwurf, sie habe sich das ergaunert – mehr oder weniger. Alles Theater. Eine Inszenierung. Sie, die Forscherin, eigentlich eine Schauspielerin, die nur eine Rolle bedient.

Ein Realist, der Böses dahinter vermutet?

Und doch lässt es sich nicht vermeiden. Für das akademische Establishment sind Intellektuelle und freie Forscherinnen wie Göpel ein Dorn im Auge. Talkshows, Preise, Interviews – was für den 08/15 Professor (m/w/d) die Ausnahme ist, gehört für Göpel zum täglichen Geschäft. Nun kann und soll man ihre Thesen durchaus kritisch sehen, den Diskurs wagen (Anm. d. Verfassers: Was ich etwa hier auch tue). Doch wer schert sich schon um Inhalte?

Dass im DIW in Berlin einige mit einem Anrücken Göpels gar nicht glücklich wären, ist ebenfalls evident. Schon wieder eine, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, den ganzen Lorbeer einheimst – und wo bleiben wir? Das ist wohl die Kernfrage hinter der vermeintlich „faktischen” Kritik. Es geht um Futterneid, um Missgunst, finstere Motive also. Es menschelt.

Zum Denken anregen statt Wahrheit zu verkünden

Dazu kommt intellektuelle Faulheit: Die deutschen Berufsakademiker bleiben gerne unter sich, stellen sich ungern „fachfremder” Kritik, mit anderen Worten: Sie möchten ungestört ihre Professur verzehren.

Vor allem: Der deutsche Akademiker findet Public Intellectuals Scheiße. Sie ziehen Aufmerksamkeit ab, Geld, sie tun überdies, was eigentlich ja auch Forschende an Unis tun sollten, ihre Arbeit so gut und verständlich wie möglich rüberbringen, und ja, dazu kann man jederzeit auch Unterstützung anheuern. Es geht nämlich nicht um Selbstreferenz, um den Flurfunk an Instituten und Fakultäten, sondern ganz entscheidend darum, den Stand der Forschung so verständlich wie möglich so vielen wie möglich zugänglich zu machen. Mit anderen Worten: eine demokratische Gesprächskultur einzuhalten, auch auszuhalten, dass andere mit ihren Positionen mehr gehört werden.

Das ist nicht immer heiter, aber die eigentliche Rolle von öffentlichen Intellektuellen. Das sind eben keine unfehlbaren Lehrstuhlinhaber, die ex cathedra die eine Wahrheit verkünden, an der andere nicht zu zweifeln haben, sondern Leute, die Denkanstösse liefern, ganz aufgeklärt also andere ermuntern, nicht alles zu glauben, was ihnen so vorgesetzt wird.

Niemand braucht Wissensarbeiter, die an die Stelle alter Dogmen neue setzen. Niemand braucht öffentliche Intellektuelle, die sich nicht für ganz einfache, lebenspraktische Diskussionen hergeben wollen. Die bei jeder Gelegenheit ihre vermeintliche fachliche Überlegenheit betonen. Der Public Intellectual ist jemand, der sich die zur Verfügung stehenden technischen Mittel und Methoden professionell nutzt. Der Podcasts mag, Podiumsdiskussionen und Talkshows. Das ist kein Makel. Es dient dem Fortschritt, der guten Beweglichkeit des Denkens. Harmonie verblödet. Meinungsvielfalt schafft Lösungsoptionen.

Der Ausbruch der Wissensarbeit aus ihren Gehegen

Der öffentliche Diskurs ist das Gegengift zur Rechthaberei. Was wir mit dieser Diskussion erleben, ist der Ausbruch der Wissensarbeit aus ihren Gehegen. Die Zukunft liegt, um es mit dem Twitternamen Göpels zu sagen, beyond ideology – jenseits der Ideologien.

Wissensarbeit ist ihrem Wesen nach eine politische, weil öffentliche Angelegenheit. Sie stellt Ideen und Möglichkeiten zur Diskussion, natürlich auch Göpels Thesen, über die man trefflich streiten kann. Sie dafür inhaltlich zu kritisieren ist gut und richtig, ihr allerdings die Kompetenz abzusprechen, ihre Themen so gut und so verständlich wie möglich zu machen, ist grundfalsch.

Aber eben auch der eigentliche Konflikt, der zwischen alter Wissensbürokratie und neuer Wissensarbeit, zwischen Elfenbeinturm und Rechthaberei und der Veränderung, der Transformation, auf der anderen. Alles hat seinen Preis. Die einen zahlen ihn, indem sie der Häme des Establishments ausgesetzt werden, die wiederum raunt, weil sie sich ihrer Wirkungs- und Bedeutungslosigkeit längst bewusst ist. Es geht um Kränkung, Machtverlust, Wut.

Um Inhalte geht es nicht, es geht nicht mal um Maja Göpel. Sie ist nur die Zielscheibe in einem Stellvertreterkrieg. Wer weiß, vielleicht geht jetzt mal der Schuss nach hinten los, mitten rein in die Selbstgerechtigkeit eines sich dem Diskurs und der Kritik so abweisend zeigenden Wissenschaftsestablishments und seiner selbstreferenziellen Bürokratie.

Wir wollen nicht vergessen: Wer die Welt neu denken kann, schafft das auch mit Bürokraten.

WOLF LOTTER ist Autor und Essayist und Kolumnist bei taz FUTURZWEI (Lotters Transformator).