Heil oder Hybris

Wäre Geoengineering ein realistischer Weg, um die Erderwärmung zu drosseln? Je weniger wir jetzt tun, desto unabwendbarer wird der Einsatz von Hochrisikotechnologien

Illustration: Katja Gendikova

Von Iris Hilbrich undFrank Adloff

Im nächsten Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob wir für das 21. Jahrhundert eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad erreichen werden. So spielt die Frage des Klimaschutzes eine besondere Rolle bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Dabei fällt ein entscheidender Punkt unter den Tisch: Entweder sind wirklich radikale Klimamaßnahmen nötig oder aber technologische Eingriffe in das Erdsystem oder zumindest extrem teure Maßnahmen zur CO2-Speicherung, die bisher niemand wirklich will – mit Ausnahme der großen Global Playersder fossilen Energieerzeugungsbranche und ihrer liberalkonservativen Partner in der Politik. Technologien wie Geoengineering kommen mangels radikaler Klimaschutzprogramme durch die Hintertür in die politische Debatte und werden bald als absolute Notwendigkeit erscheinen.

Beim Geoengineering oder auch Climate Engineering handelt es sich um großskalige technologische Eingriffe, die von natürlichen Formen der Aufforstung bis hin zu Science-Fiction-artigen Vorstellungen von Spiegeln im Weltall oder der Simulation von Vulkanausbrüchen reichen. Grundsätzlich lassen sich Methoden zur Reduzierung der Sonneneinstrahlung von Methoden zur Reduzierung der CO2 Konzentration und marinen Formen des Geoengineerings unterscheiden.

Die meisten dieser Technologien existieren bis dato nur in sehr kleinem Maßstab oder als Computer-Simulationen. Sie stehen also nur als Wette auf zukünftige technologische Innovationen zur Verfügung. Zudem ist seit 2010 ein zwischenstaatliches De-facto-Moratorium für große Geoengineering-Experimente in Kraft. Die 193 Vertragsstaaten einigten sich damals im Rahmen der Biodiversitätskonvention auf das Vorsorgeprinzip, und demnach ist heute bereits die Erforschung von Geoengineering strengen globalen Regularien unterworfen.

Die Debatte wird noch komplexer, wenn man sich die Modellrechnungen des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change) von 2018 genauer ansieht. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird in nahezu allen Szenarien der internationalen Kli­ma­for­sche­r:in­nen eine zusätzliche Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vorausgesetzt, da eine Reduzierung des Ausstoßes alleine nicht ausreichen würde, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, wenn denn der nötige soziale Wandel weiterhin schleppend verläuft. Übersetzt bedeutet das: Es ist schon fünf nach zwölf und ohne technologische Eingriffe werden wir es nicht schaffen, die katastrophalen Folgen des Klimawandels zu bekämpfen.

Während weitgehend Konsens darüber besteht, dass die Manipulation der Sonneneinstrahlung keine gute Idee ist, stützen sich Wissenschaft und Politik vermehrt auf Technologien der unterirdischen CO2-Speicherung (CCS) oder der Bioenergiegewinnung mit CO2-Speicherung (BECCS). Bioenergiegewinnung und CO2-Speicherung bedeutet, dass Pflanzen CO2 aufnehmen, diese dann zur Energiegewinnung verbrannt werden und das bei diesem Prozess entstehende Kohlenstoffdioxid eingefangen und gespeichert wird, bevor es wieder in die Atmosphäre gelangt.

Die Parteien vertreten unterschiedliche Positionen zu möglichen großen technologischen Eingriffen in das Klima. Während die Linke Carbon-Capture- und Storage-Technologien dezidiert verbieten will, liebäugeln CDU und FDP mit „technologischem Fortschritt und Innovation“ zur Lösung der Klimakrise. Der Wahlkampf der Liberalen arbeitete sich dezidiert an dem Stichwort des ,,German Engineered Klimaschutz“ ab. Die Hoffnung ist, dass die deutschen Ingenieure es schon richten werden mit dem Klimawandel. Die Grünen sind wiederum merkwürdig unklar in ihren Äußerungen.

Foto: privat

Frank Adloff ist Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und Co-Leiter der Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“.

Ob nun Jamaika oder Ampel, die FDP wird mitregieren und die Erforschung und den Einsatz der Technologien mit Nachdruck auf die politische Agenda bringen. Am 18. Mai diesen Jahres haben Abgeordnete und die Bundestagsfraktion der FDP im Bundestag den Antrag ,,Für echten Klimaschutz durch technologischen Fortschritt – CO2-Speicherung als Voraussetzung für Klimaneutralität ermöglichen“ eingebracht, der fünf Wochen später abgelehnt wurde. Der Vorstoß der FDP deckt sich mit den Forderungen des Weltklimarats von 2018 nach negativen Emissionen.

Was auf den ersten Blick wie eine vielversprechende Antwort oder sogar Rettung aus der Klimakrise erscheint, hält bei näherem Hinsehen kaum den Anforderungen an eine schnelle Interventionsmaßnahme stand.

So weisen zivilgesellschaftliche Akteure wie die Heinrich-Böll-Stiftung, der Naturschutzbund (Nabu), Greenpeace – um nur einige wenige zu nennen – seit Jahren auf die mit Geoengineering verbundenen Risiken und Kosten hin. Ganz abgesehen von der extremen Form des Solar Radiation Managements, die auch in wissenschaftlichen Fachkreisen nur mit Vorsicht formuliert wird, sind auch mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 extreme Kosten und Risiken verbunden. Prominente Argumente gegen Carbon Capture and Storage zielen auf den gesteigerten Verbrauch an fossiler Energie ab, da die riesigen Anlagen Berechnungen zufolge zu einem Anstieg des fossilen Energiebedarfs um circa 40 Prozent beitragen würden.

Solange die Energieversorgung noch nicht komplett auf regenerative Energien umgestellt ist, würde der Einsatz von Carbon-Capture-Technologien den Bedarf an fossilen Ressourcen sogar erhöhen, da die riesigen Anlagen einen enormen Energiebedarf haben. Es muss also mehr Kohle abgebaut werden, um CO2 zu reduzieren. Das klingt paradox und sollte uns wirklich zum Nachdenken anregen, ob der Weg, den wir gerade gehen, nicht doch in eine absolut falsche Richtung führt.

Die Kostenfrage (circa 10 Milliarden Euro Anschubfinanzierung in der EU, laut einem Bericht von McKinsey aus dem Jahr 2008), aber auch die Frage nach geeigneten Endlagerstätten stellen ein weiteres Problem dar. Greenpeace kommt zu dem Schluss, dass die Gefahr eines Austritts an CO2 durch mangelnde Überwachung der Endlagerstätten oder ungeeignete Lagermöglichkeiten, eine ernstzunehmende Gefahr für die Bevölkerung darstelle. In einer Evaluation des Weltklimarats von 2018 stellt das Umweltbundesamt fest, dass für Bioenergiegewinnung und CO2-Speicherung eine Fläche, die 17-mal so groß wie Deutschland ist, benötigt würde. Zu den Kosten und der Unplanbarkeit der Umsetzung tritt also der Konflikt um Flächennutzung für die Nahrungsmittelproduktion hinzu. Wer will sich gerne mit der Frage konfrontiert sehen, ob in Zukunft weniger Nahrungsmittel produziert werden können, damit man die CO2-Altlasten der 2020er Jahre loswird?

CO2-Speicherung würde den Bedarf an fossilen Ressourcen erhöhen

Wollen wir weitermachen wie bisher und dann in nicht allzu ferner Zukunft extreme Einschränkungen in Kauf nehmen? Bei all den Verbotspolemiken, die nicht nur die Grünen über sich ergehen lassen mussten, bleibt die realistische Einsicht, dass wir entweder jetzt einen Teil unserer individuellen Konsum- und Lebensrealität ändern müssen oder eben in ein paar Jahren drastische autoritative staatliche Maßnahmen auf uns zukommen, wie jüngst auch das Verfassungsgericht herausstellte.

Viele der beteiligten For­sche­r:in­nen weisen auf ein Dilemma hin: Einerseits müssen Geoengineering-Technologien frühzeitig erforscht werden, um als Notfallmaßnahmen zukünftig einsatzbereit zu sein. Auf der anderen Seite wird gewarnt, dass bereits die vage Möglichkeit einer technologischen Lösung die globalen Anstrengungen der CO2-Reduzierung erheblich bremsen könnte. Dass diese Befürchtung nicht unrealistisch ist, zeigt der Blick auf die FDP.

Ein „Weiter so“ in der Klimapolitik sollte aus unserer Sicht dennoch in jedem Fall vermieden werden. Denn so hart und unangenehm es auch klingen mag, es wird keine einfache technologische Wunderheilung der Klimakrise geben. Und doch arbeitet die Zeit für Geoengineering. Mit jedem Jahr, in dem der globale Ausstoß an Treibhausgasen nicht massiv verringert wird, wird es notwendiger, in der Zukunft negative Emissionen zu generieren. Es läge nicht zuletzt an den Grünen, schlaue Gegenentwürfe zu präsentieren.

Geoengineering sollte als Chance und Risiko offen und unvoreingenommen in Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft diskutiert werden. Andernfalls wird es als nichtintendierte Folge der bisherigen gescheiterten Klimapolitik Realität werden. Die Skepsis gegenüber großen technologischen Eingriffen wird von den meisten Parteien als links-grüne und rückwärtsgewandte Technikverdrossenheit gewertet. Wenn wir aber die Lektion beispielsweise aus Fukushima verinnerlicht haben, dann müssen wir bei der Einführung von auf den ersten Blick vielversprechend erscheinenden Innovationen immer die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten sowie die potenziellen Nebenfolgen bedenken.

Foto: privat

Iris Hilbrich

ist Soziologin an der Universität Hamburg mit den Forschungsschwerpunkten Nachhaltigkeit, Technikfolgenabschätzung und Biomedizin.

Vor gut 40 Jahren formulierte der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas das „Prinzip Verantwortung“ und entwickelte damals das ethisch-politische Prinzip, dass Unheilsprophezeiungen mehr Gehör zu schenken sei als Heilsversprechen. Vielleicht ist das nicht die schlechteste ethische Maxime für die kommenden Jahre.

Die einseitige Debatte über eine vermeintliche Verbotskultur verstellt den Blick auf gesellschaftliche Lernprozesse. So halten wir es heute zum Beispiel für selbstverständlich, dass wir uns im Auto anschnallen. Diese Entwicklung beruht auf der Einsicht, dass die Gurtpflicht Leben rettet.

Es gibt bis heute keine dauerhaften Endlagerstätten für atomaren Müll. Wollen wir den Technologien der unterirdischen Verpressung von CO2 Vertrauensvorschub leisten? Oder wird es noch ein weiterer Stoff sein, den wir nicht ausreichend sicher lagern können? Wir sollten aus unseren Fehlern der Vergangenheit lernen und die logischen Schlüsse aus den Erfahrungen ziehen. Wenn Geoengineering-Technologien eingesetzt werden sollen – was gerade unausweichlich erscheint –, muss eine ehrliche öffentliche Debatte über Chancen und Risiken, Kosten und Nutzen erfolgen, die über vermeintliche Verbots-Polemiken weit hinausgeht.