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■ Nebensachen aus WarschauIn Polen gibt es Telefon

Klaus Kinkel wirkt gelöst. Kein Streß, kein Ärger, keine blöden Journalistenfragen. Einfach nur Ausspannen, Spazierengehen und mit dem polnischen Außenminister Dariusz Rosati plauschen. „Die beiden mögen sich“, flüstern sich „Insider“ hinter vorgehaltener Hand zu. Doch was ist der Waldspaziergang eines deutschen Politikers in Polen, wenn Otto Normalverbraucher in Bonn, Berlin und Buxtehude es nicht mitbekommt? Also: Die Journaille muß mit. Gewünschter Tenor des Artikels: Friede, Freude, Eierkuchen. Die deutsch-polnische Verständigung hat eine neue Qualität erreicht.

Natürlich wissen beide Außenminister, wie wichtig Symbole für das tägliche Politgeschäft sind. Es gibt einige, die nicht mehr up to date sind: herzliche Bruderküsse etwa, Händchenhalten auf Soldatenfriedhöfen oder tragisch-dramatische Ganzkörperumarmungen. Doch für den Waldspaziergang war nichts Spezielles geplant. Ein Medienflop zeichnet sich ab.

Da klingelt das Handy, und der neue französische Außenminister ist dran. Er möchte mal kurz mit Kinkel sprechen. Daß er den deutschen Kollegen in Kazimierz Dolny antreffen würde, einem malerischen Städtchen unweit der polnischen Hauptstadt, ahnt Monsieur Vedrine in Paris natürlich nicht. Kinkel peilt sofort die Lage: „Telefon, politische Achse Paris – Bonn – Warschau, genial!“ scheint durch seinen Kopf zu schießen.

Jedenfalls bleibt sein suchender Blick nach dem Journalistentroß niemandem verborgen. Aufgeräumt und vor laufenden Kameras schlägt er Rosati vor, den französischen Kollegen gemeinsam zurückzurufen – von einer öffentlichen Telefonzelle aus! Er sprüht vor guter Laune, strahlt seinen Freund Dariusz spitzbübisch an, und der – was soll er anderes tun – stimmt zu.

Rosati ahnt, was die Stunde geschlagen hat. Nicht umsonst zählen die polnischen Satiriker zur Weltspitze. „Ein Freund ist ein Mensch, der dir völlig selbstlos schadet“, hat einmal der Feuilletonist Wieslaw Brudizinski geschrieben. Die deutschen Polenfreunde, so auch Klaus Kinkel, haben eine merkwürdige Art, Land und Leute an der Weichsel zu loben. Denn Polens tolle Errungenschaften gehören in anderen Ländern seit langem zum Alltag – und die Polen selber möchten den Anschluß an die westliche Zivilisation möglichst geräuschlos vollziehen.

Kinkel aber, voll auf dem Freundschaftstrip der Marke Mediengeilheit, drückt bereits die Tasten 0-0-3-3, die Vorwahl nach Frankreich. Die Journalisten rücken dicht auf, halten die Mikros an den Telefonhörer und warten auf die Sensation. „Bonjour“, sagt Kinkel. „This is Klaus Kinkel speaking. I think you speak english.“ Lange Pause. „Aha, dann also deutsch.“ Und Kinkel hebt zu einem langen Sermon an, erklärt Vedrine, daß die deutsch- französischen Beziehungen ganz prima seien und die begonnenen Gespräche „finalisiert“ werden sollten. Dann reicht er den Hörer an Rosati weiter. „Bonjour, Monsieur le ministre“, begrüßt er Vedrine und erklärt, daß auch die polnisch-französischen Beziehungen ganz prima seien. Am nächsten Tag steht in den Zeitungen: „Kinkel und Rosati rufen ihren neuen französischen Kollegen von einer öffentlichen Telefonzelle aus Polen an.“

Und im Gedächtnis der Menschen wird das „Freundes-Lob“ haften: „In Polen gibt es Telefon. Und es funktioniert sogar!“ Gabriele Lesser

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