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■ Nebensachen aus ItalienBeim „Cruccho“ kauft die Seniora heimlich ein

Die grauhaarige Frau blickt vorsichtig nach links und rechts, dann schiebt sie ihren vollbepackten Einkaufswagen in eine ruhige Ecke des Innenhofes. Scheren schnappen, Tüten rascheln. Fünf Minuten später hat die Frau reichlich Abfall produziert: Ein Dutzend Spaghetti-Klarsichthüllen Marke Belladonna, Spülmittelkartons „W5“, Toilettenpapierpackungen „Cien“ wandern in den in den Müllcontainer. Dafür ist der Einkaufswagen jetzt gefüllt mit Packungen des italienischen Nudel-Marktführers Barilla, Waschmittelkartons von Dash und Toilettenpapier von Tempo. Sie erschrickt, als sie angesprochen wird, dann faßt sie sich: „Sie sind Deutscher, ja?“ Ein scheuer Blick, dann kommt sie näher: „Wissen Sie, ich kaufe seit Monaten schon alles hier im Lidl-Supermarkt. Aber zu Hause dürfen die das nicht wissen, drum packe ich alles in italienische Tüten um.“

Keineswegs ein Einzelvorgang in Latinas erster Niederlassung der deutschen Lidl-Kette aus Neckarsulm. Der Supermarkt, serviert seine Waren wie in Deutschland aus dem Karton: Ein Verkaufsleiter und eine wieselflinke Kassiererin, zu Stoßzeiten noch eine zweite Kraft schaffen den ganzen Laden. „Ein Bombenerfolg“, freut sich Alessandro Curatola, der Ladenchef, „vor allem seit sich nicht nur bei den hier wohnenden Ausländern herumgesprochen hat, daß man hier so manches bekommt, was man sich sonst von Freunden mitbringen läßt.“ Nürnberger Bratwürste, Kasseler, deutsches Bier zu erschwinglichem Preis, Essiggurken Hausmacherart: „Mittlerweile kommen auch immer mehr Italienerinnen, der Preise wegen“, sagt der Ladenchef.

Längst sparen nämlich auch die ItalienerInnen an ihrem heiligsten Gut, dem heimischen Essen. Von ehemals 35 Prozent sind die monatlichen Ausgaben für Nahrungsmittel nach der neuesten statistischen Erhebung auf weniger als 20 Prozent geschmolzen. „Da muß auch unseren häuslichen Gourmets die Billigware mal gut genug sein“, sagt unsere grauhaarige Frau Magnani. Außerdem: „In der Regel merken weder mein Mann noch meine Kinder überhaupt, daß ich da mogle.“

Der Lidl-Markt in Latina ist der südlichste Punkt, den die Handelskette in Italien bislang erreicht hat – mehr als 200 Niederlassungen gibt es bereits zwischen Brenner und Rom. Ein ansehnlicher Erfolg in einem Land, dessen Bürger sich von Geburt an zu den kenntnisreichsten Feinschmeckern der Welt zählen und offiziell auf keinen Fall Ausländisches und schon gar nichts von den „Crucchi“ (Cruccho: die italienische Version des englischen „Krauts“) kaufen würden.

Nur: „Not kennt kein Gebot“, sagt ein für den Handel zuständiger Beamter der Stadtverwaltung von Latina. „Und bevor die Leute in die Nachbarstadt fahren, weil dort schon ein Lidl-Markt besteht, wollen wir hier wenigstens die Steuer kassieren.“ Und außerdem: Auch seine Frau kauft mittlerweile bei Lidl, wie er erfahren hat. Was man aber nicht weitersagen soll. Werner Raith

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