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Nebelkerzen im Puff

Bordellbesitzer John Heer verklagt die grüne Stuttgarter Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, weil sie Lügen über sein Geschäft in Kontext erzählt haben soll. Jetzt unterliegt er vor Gericht in weiten Teilen.

Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin von Stuttgart‐Mitte und damit zuständig fürs Leonhardsviertel. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Elena Wolf↓

An einem guten Gespür für öffentlichkeitswirksame Selbstinszenierungen mangelt es dem Stuttgarter Ex-OB-Kandidat und Puffbesitzer John Heer nicht: Auf Facebook geriert er sich als Luxusauto-Fan mit Florida-Lächeln. Wenn es um die Erhaltung seiner Sex-Clubs in einem Stuttgarter Szeneviertel geht, mimt er die Rolle des Gentrifizierungs-Gegners. Leiden Prostituierte in der Corona-Krise unter den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, gibt er sich als Frauenretter, der die Bordelle geöffnet wissen will, damit die Frauen Arbeit haben. Und wenn er glaubt, Oberbürgermeister werden zu können, verkauft er sich mit Anzug und rahmenloser Brille in einem YouTube-Jugendformat als vertrauenswürdiger Ehrenmann, der unparteilich auf die Stadt schauen und für „mehr Transparenz im Rathaus“ sorgen will.

Nachdem ihm keine seiner Performances jedoch mehr als 0,8 Prozent der Stimmen bei der OB-Wahl im Jahr 2020 einbrachte, promotet er im Fernsehen sein Geschäft mit dem Frauenkauf, inszeniert sich als Saubermann und zeigt einem Kamerateam bei einer Reportage über Prostitution stolz die Reno­vierungsarbeiten in seinem Bordell, inklusive abwaschbarer Wände. Nach seinem Miss­erfolg bei der OB-Wahl hat er sich zwei neue Rollen einfallen lassen, um über­regional im Gespräch zu bleiben: die Opferrolle und die des ganz normalen Bürgers, der sich von „denen da oben“ nix gefallen lassen will.

Veronika Kienzle will ein diverseres Rotlichtviertel

Als er und weitere Bordellbesitzer die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier (SPD) 2021 wegen „übler Nachrede“ und „Verleumdung“ angezeigt hatten, weil sie auf das menschenverachtende System Prostitution hinwies, das durch die Corona-Krise mehr denn je seine Schattenseiten offenbarte, startete er gemeinsam mit AkteuerInnen der Sexkauf-Lobby eine Medien­kampagne, um Breymaier öffentlich als Lügnerin hinzustellen. Dass die Staatsanwaltschaft seinen Anzeigen jedoch nicht stattgab, nie eine Verhandlung zustande kam, stand nicht in seinen Facebook-Profilen, auf denen er seine Follower regelmäßig über seine Taten informiert.

Jetzt hat er sich eine weitere Frau aus der Politik vorgenommen, deren Äußerungen er gerichtlich verbieten lassen will. Eine, die ihm als Kandidatin bei der OB-Wahl 2020 haushoch überlegen war. Eine, über die er bereits 2019 auf seiner Facebook-Seite immer wieder herzog, indem er etwa schrieb: „Das Übel hat einen Namen: Stadthalterin Veronika Kienzle“. Kurz vor der OB-Wahl postete er einen Zeitungsbericht über Kienzle und ihre Kandidatur und schrieb über ihr Portraitfoto: „Der Untergang für Stuttgart“. Seit Jahren hetzt Heer persönlich gegen die Stuttgarter Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, die das Viertel in der Stadtmitte, in dem sein Puff und seine Tabledance-Bar stehen, diverser gestalten möchte, damit sich dort nicht nur Zuhälter, Freier und andere Profiteure des Sexkaufgewerbes gerne aufhalten.

Und seine Fan-Blase lässt sich mit jedem Anti-Kienzle-Post in zahlreichen Kommentaren von seiner Abneigung gegen die Grüne aufstacheln: „Die gehört weg!“, „Dachlatte in weiblich“, „Dieses profilierungssüchtige Hexenweib soll endlich ihr dummes Schandmaul halten … Verlag [sic!] sie bis auf die Knochen – am Besten noch ein Amtsenthebungsverfahren einleiten … Wenn Unfähigkeit noch auf Dummheit trifft …“ sind nur einige Beispiele.

Seit Jahren streut Heer die Erzählung, Kienzle führe eine „Privatfehde“ gegen ihn. Deshalb verkündete Heer im Februar 2022 auf Facebook unter einem Text der „Stuttgarter Nachrichten“, die seine Klage gegen die Bezirksvorsteherin aufgriffen: „Und der Kampf geht in die nächste Runde. Man darf sich als Bürger nicht alles gefallen lassen.“ Wie Breymaier wirft er Kienzle vor, Lügen über ihn und sein Gewerbe zu verbreiten, weil sie in einem Kontext-Interview über illegale Bordelle erklärte, dass Heer im Stuttgarter Leonhardsviertel ein nicht genehmigtes Bordell betreibe und ein Anwesen dort illegal als Prostitutionsstätte nutze. Diese beiden Aussagen und eine dritte, die Modi gewerberechtlicher Nutzungsbedingungen zum Gegenstand hatte, seien laut Heer „wissentlich falsche Behauptungen“, die Kienzle über ihn verbreite.

Urteil im Eilverfahren „keine große Überraschung“

Doch auch dieser Versuch ist vergangenen Donnerstag vorerst gescheitert. Das Landgericht Stuttgart stellte nämlich fest, dass weder Kienzles Aussage, Heer betreibe ein nicht genehmigtes Bordell, noch ihre Aussage, dass er ein Haus im Leonhardsviertel illegal als Prostitutionsstätte nutze, zu beanstanden ist. Vergangenen Donnerstag war Urteilsverkündung. Das Gericht entschied, dass es rechtmäßig sei, Heers Etablissement als illegal und nicht genehmigt zu bezeichnen. Eine Klatsche für einen Mann, der stets penibel auf ein Saubermann-Image bedacht ist.

In einem Punkt bekam Heer vor Gericht auch Recht. Eine der drei Äußerungen Kienzles im Kontext-Interview, die Heer nicht verbreitet wissen will, darf die Bezirksvorsteherin tatsächlich nicht mehr tätigen: Dass Heer im Anwesen Leonhardstraße 7, 70182 Stuttgart Zimmer zur „gewerberechtlichen Zimmervermietung“ gemeldet habe. Das Gericht befand, dabei handle es sich um eine Tatsachenbehauptung, die im Eilverfahren nicht beweisbar gewesen sei.

Nach der Urteilsverkündung war er sofort verschwunden. Wenige Stunden später erklärte er seinen „Teilsieg“ auf seinen digitalen Plattformen, um das Narrativ seiner Überlegenheit über Kienzle mit selektiven Informationen zu verbreiten und weiter Stimmung gegen sie zu machen. Tags darauf schrieb er: „Da rennt nun eine Bezirksvorsteherin namens Veronika Kienzle in Stuttgart herum und erzählt jedem, der es hören möchte oder auch nicht, dass sie gegen mich bei Gericht gewonnen habe!!!“ Er sei der eigentliche Sieger. Als Beweis veröffentlichte er das gerichtliche Dokument, das ihm in einem Punkt recht gab, während er die beiden anderen Punkte, in denen er verlor, unter den Tisch fallen ließ. Die „Bild“ griff seine Version auf und titelte: „Grünen-Politikerin darf nicht mehr über Laufhaus lästern“.

Jetzt schlüpft John Heer von der Sieger-Pose des erfolgreichen Unternehmers in die Rolle des kleinen Bürgers, der sich gegen eine Obrigkeit wehrt, die ihm „wissentlich“ Übles wolle – um es Kienzle in der nächsten gerichtlichen Instanz richtig zu zeigen. Na dann. Kontext bleibt dran.

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