Nazis in der Bundesrepublik: Mord in Odessa
Wofür der Code „Odessa“ nach 1945 stand, ist umstritten. Womöglich organisierten sich in der „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ Altnazis.
A m 3. Juli 1946 schrieb der Emigrant Otto Urbach einen Geheimdienstbericht mit der Betreffzeile: Subversive Organisation von entlassenen SS-Gefangenen „ODESSA“.
Urbach war nie in seinem Leben in Odessa gewesen und auf den ersten Blick schien sein Bericht in keinem Zusammenhang mit der ukrainischen Stadt zu stehen. Tatsächlich gibt es bis heute zwei Theorien, warum SS-Männer ausgerechnet den Name Odessa benutzten: Entweder war es eine Abkürzung oder man meinte die Stadt selbst.
Für Otto Urbach bedeutete der Odessa-Bericht reine Routine. Er arbeitete für das Counter Intelligence Corps (CIC), die amerikanische Gegenspionage. Seine Aufgabe lautete, Kriegsverbrecher aufzuspüren. Von denen gab es 1946 in Deutschland genug und Urbach hatte gute Gründe, sie zu suchen.
Er kam ursprünglich aus Wien, und dort hatte Gauleiter Baldur von Schirach 1942 dafür gesorgt, dass ein Großteil von Urbachs Verwandtschaft in die Vernichtungslager im Osten abtransportiert wurde. Schirach bekam für seinen Massenmord 20 Jahre Gefängnis. Seinen Mittätern erging es noch besser, viele von ihnen konnten untertauchen. Sie wurden dabei von SS-Netzwerken unterstützt, die Essen, Unterkunft und Papiere besorgten. Urbachs Geheimdienstbericht von 1946 betraf genau so ein SS-Netzwerk.
Odessa als Codewort
SS-Männer benutzten das Codewort „Odessa“, um an Verpflegung heranzukommen. Der Bericht löste eine lange Kette von Nachforschungen aus. Mehrere geheime Hilfsorganisationen wurden in den darauffolgenden Monaten entdeckt, die ständig ihre Namen wechselten. Sie nannten sich „Skorzeny“, „Scharnhorst“ oder „Leibwache“. Mit all diesen Namen verbanden SS-Männer etwas Positives. Aber warum hatten sie Odessa als Codewort gewählt? Was war daran positiv?
Der Nazijäger Simon Wiesenthal hatte eine Theorie. Er glaubte, es handle sich um eine Abkürzung und stünde für „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ (Odessa).
Bis heute ist unklar, auf welchem Weg Wiesenthal überhaupt von dem Odessa-Bericht erfuhr. Otto Urbach hatte ihn zwar 1946 geschrieben, aber er war geheim und wurde erst im Jahr 2000 freigegeben.
Ein Grund, warum der Bericht aber schon früh an Wiesenthal durchsickerte, lag in den vielen jüdische CIC-Mitarbeitern. Sie waren entsetzt über die Kooperation ihrer Vorgesetzten mit Alt-Nazis. Im Kalten Krieg machten die jetzt plötzlich Deals mit Kriegsverbrechern wie Klaus Barbie.
Netzwerke schleusen Nazis außer Landes
Um diese Deals zu behindern, gaben jüdische CIC-Agenten Informationen diskret an Wiesenthal weiter. Und er erzählte dem britischen Journalisten Frederick Forsyth von „Odessa“. Forsyth wiederum schmückte die Geschichte aus und macht daraus seinen Besteller „Die Akte Odessa“. Er beschrieb darin eine geheime NS-Organisationen namens Odessa, die Kriegsverbrechern die Flucht nach Südamerika ermöglicht. Und natürlich war genau so etwas seit 1945 geschehen. Nazi-Netzwerke hatten Ihre Mittäter ins Ausland geschmuggelt, Adolf Eichmann inklusive.
Aber eine Frage blieb weiterhin offen. Stand Odessa wirklich für die komplizierte Bezeichnung „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“, wie Wiesenthal und Forsyth glaubten?
Tatsächlich gibt es eine andere, sehr viel plausiblere Erklärung: Es ging um die Stadt Odessa: SS-Männer sind für ihren makaberen Humor bekannt, und die Stadt Odessa bedeutete in ihren Augen etwas sehr Positives: Im Oktober 1941 hatten rumänische Truppen unter deutscher Führung 25.000 Juden im Massaker von Odessa erschossen und verbrannt.
Danach hatte man diese „erfolgreiche“ Mord-Kooperation fortgesetzt und in der Umgebung Odessas über 100.000 Juden umgebracht. Der Name Odessa stand also für eine Tat, auf die man stolz war.
Die Bewohner von Odessa sind heute wieder bedroht. Man kann nur hoffen, dass Putin damit nicht davonkommt, anders als so viele Mörder vor ihm.
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