Natur- und Umweltschule Dresden: Der Wald darf keine Schule sein
Eine reformpädagogische Naturschule in Dresden kämpft seit Jahren um ihre staatliche Anerkennung. Ein Gericht entscheidet jetzt über ihre Zukunft.
Etwas später sitzt die junge Frau in Strümpfen im kleinen Bibliothekszimmer der NUS. Schuhe werden hier am Eingang ausgezogen, damit sich die Reste des feuchten Waldbodens nicht in den roten Teppich fressen. „Wir wollen mit unserer Schule erreichen, dass die Kinder einen Blick für die Welt entwickeln, aktiv sind und Verantwortung übernehmen“, sagt Pörschke.
Sie ist Teil eines dreizehnköpfigen Pädagog_innenteams, das für 64 Schüler_innen zuständig ist. 2011 wurde die Schule in freier Trägerschaft gegründet; im Mittelpunkt stehen seitdem natur-, umwelt- und reformpädagogische Ansätze. Die Zukunft der Einrichtung ist allerdings in Gefahr, denn bei den Behörden stößt das Konzept auf Widerstand.
Das sächsische Landesamt für Schule und Bildung lehnt es bisher ab, ein sogenanntes besonderes pädagogisches Interesse an der Arbeit der NUS anzuerkennen. Die Schule bekommt deshalb kein Geld vom Staat und muss sich derzeit aus Spenden finanzieren. 2015 urteilte das Verwaltungsgericht Dresden zwar, dass das Amt die Einrichtung noch einmal neu zu beurteilen habe. Die Behörde focht die Entscheidung aber an. Seit Dienstag berät nun das Sächsische Oberverwaltungsgericht über den Fall. Gibt es der Behörde recht, könnte der Schule das Geld ausgehen.
„Sauerklee ist herzförmig“
„Der Wald ist unser Schulhof“, sagt Lehrerin Berit Görlich. Ausgestattet mit Regenhose und Outdoor-Jacke setzt sie sich neben zwei Kinder, die in ihre Schulhefte vertieft sind, auf einen Baumstamm. Die Schildkröten lernen heute, welche Kräuter im Wald wachsen. Dazu werden sie zu Beginn der Lerneinheit losgeschickt, um Pflanzen zu erkunden und zu sammeln. Jetzt lautet die Aufgabe: Fertige einen Steckbrief der Pflanze an, die du gefunden hast. Ein Mädchen schreibt in geschwungenen Buchstaben in ihr Heft: „Der Sauerklee ist herzförmig.“
Der angrenzende Wald ist fest in die Wochenstruktur der NUS integriert. Einmal pro Woche ist Waldtag, einmal im Quartal sogar Waldwoche. Zudem werden das Frühstück und das Mittagessen unter selbstgebauten Waldschenken auf einem der drei von der Schule gepachteten Waldplätzen zu sich genommen. Auch einzelne Lernzeiten finden dort statt.
Unter anderem deshalb zweifelt das Landesamt an der Tauglichkeit der Schule. Das Konzept bewerte man als „nicht genehmigungsfähig, da nicht erfolgversprechend umsetzbar im praktischen Schulbetrieb“, sagt Sprecher Roman Schulz. Voraussetzungen für die Anerkennung durch die Behörde seien ein Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Konzepte sowie „das Interesse an der angemessenen pädagogischen Betreuung spezieller Schülergruppen, denen das öffentliche Schulwesen keine hinreichenden Angebote macht oder machen kann“.
Der Wald ist zu gefährlich
Bei der NUS sei dies bislang nicht erkannt worden. Im vergangenen Jahr hieß es zudem von Seiten der Behörde, die Schüler_innen seien im Wald „unvorhersehbaren Gefahren ausgesetzt“.
Oftmals wird der reformpädagogische Ansatz auch dafür kritisiert, zu wenige der vom sächsischen Lehrplan vorgegebenen Inhalte abzudecken. „Zu Unrecht“, sagt Pörschke. Zwar gibt es bis auf den sogenannten Kurstag an Freitagen, an dem die Fächer Kunst, Musik, Werken, Sport, Englisch und Schwimmen abgedeckt werden, nur fächerübergreifende Lerneinheiten. Unterm Strich würden im Jahresverlauf aber alle Lehrplanthemen aufgegriffen und um naturpädagogische Aspekte sowie entdeckendes Lernen erweitert. „Das ist der Vorteil an der Flexibilität.“
Auch der Vorwurf, dass die Kinder es im weiteren Bildungsverlauf schwerer hätten, sich anzupassen, hat sich in den vergangenen Jahren nicht bestätigt. Im Gegenteil: „Die Kinder sind nicht so abgestumpft von der Schule“, sagt sie. So gingen die Schulabgänger_innen mit viel mehr Lebendigkeit und Spaß am Lernen auf die weiterführenden Schulen – was sich dann auch in den Leistungen widerspiegele.
Unter Experten respektiert
Tatsächlich ist der reformpädagogische Ansatz von Naturschulen ein in der pädagogischen Debatte geachteter. Erst kürzlich veröffentlichte die Fachzeitschrift Pädagogik einen Schwerpunkt dazu, wie Naturerfahrung durch Schule stark gemacht werden kann und welche Vorteile sich daraus für das Lernen ergeben. In einem Beitrag heißt es, die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten eine durchaus positive Wirkung auf Kinder: „mehr Eigenmotivation, weniger Erschöpfung, wachsende Stressresilienz“. Zudem ließen sich die Inhalte mit Bildungsplänen ohne Probleme verbinden.
Ob die sächsische Bildungsagentur diese Vorteile und damit die NUS an sich zukünftig anerkennen wird, muss nun das Gericht entscheiden.
Die Kinder kriegen derweil vom Konflikt am wenigsten mit. Der Unterricht geht weiter – auch im Wald. Die Schildkrötengruppe horcht auf, denn in kurzen Abständen tönt das Singen eines Kuckucks, gefolgt von einer Melodie. Nach und nach sammeln die Kinder ihre Federmäppchen vom Waldboden auf, schmücken die bunten Tücher in den niedrigen Zweigen ab. Denn sie wissen: Wenn die Lehrerin die Kuckucksmelodie flötet, heißt das: aufräumen. Die zweite Melodie ist das Signal dafür, sich im Kreis zu versammeln.
Die Schüler_innen erzählen, was sie an diesem Morgen im Wald gelernt haben. „Dass der Sauerklee am Stil leicht rötlich ist“, sagt ein Mädchen. „Dass es hier viele Mücken gibt“, ein Junge. Auf dem Weg zurück zur Schule erklärt eine Schülerin ihrer Freundin, dass Birkenblätter essbar sind. Diese nickt: „Die schmecken nach Salat.“
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