Nato-Sondergipfel in Brüssel: Mehr Waffen für die Ukraine
US-Präsident Biden verspricht eine „signifikante“ Unterstützung. Eine Entsendung von Truppen schließt das Bündnis weiter aus.
Scholz ließ sich beim traditionellen Familienfoto zu Gipfelbeginn durch den deutschen Nato-Botschafter Rüdiger König vertreten. Die nächtlichen Verhandlungen über das Entlastungspaket für die hohen Energiepreise hatten ihn bis zum Morgen in Berlin aufgehalten.
Biden war zwar pünktlich, seine „Air Force One“ war schon am Mittwochabend in Brüssel gelandet. Er redete dann aber länger als geplant. Es ging um die „russische Aggression“ – und um zusätzliche Hilfen für die Ukraine. Biden versprach „signifikante und wachsende“ Unterstützung.
Die größte Neuigkeit: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bleibt länger im Amt als geplant. Die 30 Alliierten beschlossen, das Mandat des Norwegers bis zum 30. September 2023 zu verlängern. Eigentlich wollte er im Herbst zur norwegischen Zentralbank wechseln.
Mitten im Krieg könne man sich keinen Wachwechsel leisten, hieß es im Nato-Hauptquartier. Niemand wisse, wie lang sich der Krieg noch hinziehe. Deshalb müsse man auf Nummer sicher gehen. Doch welche Rolle spielt die Nato überhaupt?
Keine klare Antworten
Beim Krisengipfel in Brüssel wurde diese Frage immer wieder gestellt, eine klare Antwort gab es nicht. Selbst Stoltenberg tat sich schwer. Man werde nicht intervenieren, sagte er nach dem Treffen. „Wir werden alles dafür tun, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert“.
Doch gleichzeitig kündigte er neue Waffenlieferungen an. Bekräftigt wird dies im Gipfelbeschluss. „Die Nato-Verbündeten haben ihre Unterstützung verstärkt und werden die sich weiterhin verteidigende Ukraine fortwährend politisch und praktisch unterstützen“, heißt es darin.
Damit greift die Nato dann doch in den Krieg ein – sogar immer mehr. Etliche westliche Staaten, darunter Deutschland und Großbritannien, haben der Ukraine viele Tausende neue Panzer- und Flugabwehrraketen versprochen. Auch Aufklärung und Logistik werden verstärkt.
Die Gefahr, dass die Nato doch noch in den Krieg gezogen wird, wächst – und sei es bloß, weil Russland westliche Waffenlieferungen attackiert. Aus Sicht des ukrainischen Staatschefs Wolodimir Selenski tut der Westen allerdings noch längst nicht genug.
In einer Videoschalte aus Kiew forderte Selenski mehr Einsatz. Die Alliierten sollten der Ukraine ein Prozent ihres Waffenarsenals zur Verfügung stellen. Die Nato verfüge über 20.000 Panzer – da seien 200 Panzer doch nicht zu viel verlangt. Dasselbe gelte für Kampfjets.
Rückendeckung bekam Selenski von Polen und Estland. „Diejenigen Staaten, die Panzer und Flugzeuge haben, können auch Panzer und Flugzeuge abgeben“, sagte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Doch die Mehrheit der Nato-Staaten ist dagegen.
Auch die Entsendung einer bewaffneten „Friedenstruppe“, wie sie vor allem Polen fordert, findet kaum Unterstützung. Dies könne zu einem „umfänglichen Krieg zwischen der Nato und Russland“ führen, warnte Generalsekretär Stoltenberg. In dem Gipfelbeschluss ist davon keine Rede.
Warnungen vor chemischen Waffen
Herausgestellt wird dagegen die Stärkung der Nato-Ostflanke. Der Gipfel beschloss, vier zusätzliche Battle Groups in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn einzurichten. Außerdem wollen die Alliierten die Ostfront zu Russland dauerhaft aufrüsten. Damit wenden sie sich von der Nato-Russland-Grundakte ab, die seit 1997 die Stationierung von Truppen begrenzt hatte.
Laute Warnungen gab es vor einem Einsatz chemischer oder biologischer Waffen durch Russland. Dies werde weitreichende Konsequenzen haben, so Stoltenberg. Hinter den Kulissen wurde auch über Atomwaffen gesprochen. Der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa hat sogar die alliierten Fähigkeiten zur ABC-Abwehr aktiviert.
Dahinter steht die Sorge, dass Russland angesichts mangelnder Kriegserfolge versucht sein könnte, doch Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Laut New York Times haben die USA bereits Notfällepläne für einen Atomangriff vorbereitet.
Auch Frankreich hat die Alarmbereitschaft erhöht. Nach einem Bericht von France Inter sind derzeit drei mit Atomwaffen bestückte U-Boote im Taucheinsatz. In normalen Zeiten ist nur ein Kampfschiff unterwegs.
Moskau hatte die Tonart zuletzt verschärft. Russland werde Atomwaffen nur im Falle einer „existenziellen Bedrohung“ einsetzen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag bei CNN International. Er schloss einen Atomkrieg aber auch nicht völlig aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich