Nationalparks in Madagaskar: Pelzige Helfer vom Wald
Die Dorfbewohner erhielten von der Regierung die Erlaubnis, den Anja Park als ihr Eigentum zu schützen.
Wer auf Madagaskar lebt, muss in der Regel hart arbeiten, um sich ein bescheidenes Leben finanzieren zu können. Anders ist es in einem Wald recht weit im Süden, wo das zentrale Hochland mit seinen Reisterrassen in eine trockene Steppe übergeht. Dort, zwischen mächtigen Felsen, verbringen die Bewohner den Vormittag mit einem Sonnenbad. Mittags ist Zeit für eine Siesta und am Nachmittag geht es zum See, wo sie baden, etwas trinken, und von den Feldern am Waldrand ein paar Früchte stibitzen.
So gut lassen es sich die rund 350 Katta-Lemuren gehen, die im kleinen Naturreservat Anja Park leben. Dass sie wenig fürchten müssen, abgesehen von den mitunter etwas lauten Touristen aus Italien, haben die Kattas Adrien Razafimandimby zu verdanken.
Das Biotop schrumpfte von Jahr zu Jahr
Flora: Madagaskar besitzt eine der vielfältigsten Pflanzenwelten auf der Erde: 12.000 Arten, von denen 70 bis 80 Prozent endemisch sind. Ein spezielles Ökosystem bietet der südwestliche Teil.
Zerstörung des Waldes: Entwaldung, Rodung, Erosion und Raubbau sind der Grund für das Verschwinden des Waldes auf Madagaskar. Große Teile des tropischen Regenwaldes werden abgeholzt, um Reisfelder anzulegen. Durch die Nährstofferschöpfung des überanspruchten Bodens kann man diesen voraussichtlich nicht mehr lange landwirtschaftlich nutzen.
Waldtiere: Nicht nur der Wald hat zu leiden, auch um die Tiere in den Wäldern steht es nicht gut. Die Lemuren, für die Madagaskar bekannt ist, werden trotz eines Verbots gejagt, getötet und verkauft. Doch auch Amphibien und Reptilien werden gefangen und sind begehrte Tiere beim internationalen Haustierhandel.
Fische: Ausländische Fischerboote dringen in die schlecht überwachten Fanggebiete Madagaskars ein. Viele Fischarten werden geplündert und sind vom Aussterben bedroht. LUISA IMHOF
Infos:
Razafimandimby ist klein und muskulös, auf dem Kopf trägt er stets den Strohhut seiner Volksgruppe, der Betsileo. Der 41-Jährige ist studierter Biologe, aber vor Jahren ins lukrativere Tourismusgeschäft eingestiegen. Seitdem organisiert er Rundreisen und Bootstouren auf der viertgrößten Insel der Welt. Über Jahre beobachtete Razafimandimby, wie sich das Unglück abzeichnete. Er sah das Ende der Kattas kommen. Ihr Biotop nahe der Stadt Ambalavao schrumpfte von Jahr zu Jahr, weil die Bewohner der umliegenden Dörfer Ackerbau durch Brandrodung betrieben. Die Asche diente als Dünger. Das sparte Geld.
So schwand der Wald, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kattas ihren Lebensraum verlieren würden und bald darauf kein neues Ackerland mehr zu erschließen wäre. Razafimandimby war klar, dass sich etwas ändern musste, um die Tiere zu schützen, die im Süden Madagaskars endemisch sind und in Familienverbänden von bis zu 30 Tieren zusammenleben.
Besucher brachte der Lonely Planet
„Wir müssen den Wald schützen, den wir noch haben“, sagt Razafimandimby auch heute noch gebetsmühlenartig, wenn er über die Anfänge spricht. Er sorgte dafür, dass der Wald in ein Programm der Regierung zum Schutz bedrohter Natur aufgenommen wird. Seine Idee: Er würde Touristen anziehen, die von den Dorfbewohnern in dem 30 Hektar großen Areal herumgeführt werden. Die Touristen zahlen Eintritt und die Gebühr für einen Guide, der ihnen die Tiere zeigt. Diese Einnahmen werden zwischen den Guides und den anderen Bewohnern aufgeteilt.
Die Dorfbewohner erhielten von der Regierung 2001 die Erlaubnis, den Wald als ihr Eigentum zu schützen. So entstand der Anja Park. Er ist gut zu erreichen, und es ist fast sicher, dass man die Lemuren aus nächster Nähe sieht und fotografieren kann. Dazu gibt es Chamäleons, Eidechsen und einige Vogelarten. Der Eintritt kostet inklusive eines Führers nur ein paar Euro. 80 Touristen kamen im ersten Jahr, dann wurden es immer mehr.
Verlage nahmen die Katta-Schau in ihre Reiseführer auf, unter ihnen der Lonely Planet. Im Jahr 2010 besuchten 10.000 Touristen den Park, Tendenz steigend. Nach der Wanderung durch den Wald können sie im neu gebauten Restaurant mit großen Panoramafenstern ausspannen und den Blick über den Wald und die mächtigen Felsen schweifen lassen.
Man einigt sich immer
Allein darf man nicht in den Park, 24 Guides führen abwechselnd durch das Areal. Einer von ihnen ist Jules Razafimiandrisoa. Der 36-Jährige trägt einen Strohhut, und wenn er lächelt, sieht man seinen goldenen Stift in der Lücke zwischen den mittleren Schneidezähnen des Bauern. Razafimiandrisoa ist ruhig und zurückhaltend. Man muss schon ein bisschen fragen, um zu erfahren, dass bei den Kattas die Weibchen dominant sind und die Tiere bis zu fünf Meter weit springen können.
Razafimiandrisoa hat eine Ausbildung als Guide im Park durchlaufen und auch eine Prüfung bei einer Tourismusbehörde in der Hauptstadt abgelegt. Trotzdem bleibt er in erster Linie Bauer. Auf zwei Hektar pflanzt er Reis, Mais und Maniok an. „Ich habe es dem Park zu verdanken, dass ich zwei Zeburinder kaufen konnte, um meine Felder zu bestellen“, sagt der verheiratete Vater von drei Kindern. Für die Ausbildung zum Guide haben ihm die Kollegen aus der gemeinsam verwalteten Kasse des Anja Park das Geld vorgeschossen. Mit den Führungen hat er es nach und nach zurückgezahlt. Nun kann er mit dem Geld der Touristen auch die Schule seiner Kinder bezahlen.
Und wie soll es mit dem Park weitergehen? „Das liegt nicht in meiner Hand“, sagt Adrien Razafimandimby. Über den Park entscheiden die Dorfbewohner gemeinsam. Sie stimmen ab und wählen jedes Jahr einen Präsidenten, der das letzte Wort hat. Und das funktioniert? Ja, sagt Razafimandimby „Man einigt sich am Ende immer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht