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"Nationale Versöhnung" in SerbienAufruf zur kollektiven Amnesie

Staatschef Boris Tadic versucht mit allen Mitteln, die Sozialistische Partei mit in die Regierung zu holen. Von einer Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit ist keine Rede mehr.

SPS-Chef Ivica Dacic (re) auf dem Weg zu Koalitionsgesprächen mit Serbiens Präsident Boris Tadic. Sogar das Amt des Premiers soll im Gespräch sein. Bild: rtr

BELGRAD taz "Drückt die Hand jenen, mit denen ihr euch in den 90er-Jahren auseinandergesetzt habt, und findet eine gemeinsame Lösung für eine bessere Zukunft. Wenn ihr das nicht tut, werdet ihr mit mir ein Problem haben", forderte Serbiens Präsident Boris Tadic vom Hauptausschuss seiner "Demokratischen Partei" (DS).

Und er bekam von der DS-Spitze die Vollmacht, mit der "Sozialistischen Partei Serbiens" (SPS) umgehend Koalitionsverhandlungen über eine proeuropäische Regierung zu beginnen, die Serbien in die EU führen soll. Das autoritäre Auftreten des Präsidenten kündigte einen Durchbruch in Richtung Europa an. Seine Rechtfertigung jedoch, warum sich die DS mit den einstigen politischen Feinden verbünden soll, löste heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit aus.

Sowohl der Führer der SPS, Slobodan Milosevic, als auch der DS-Chef Zoran Djindjic seien nicht mehr unter uns und so trügen beide Parteien an ihrem eigenen Schmerz, erklärte Tadic unter anderem. Beide Parteien wollten ihre Identität nicht aufgeben, doch sie könnten nun eine gemeinsame Identität aufbauen. Zuvor hatte Tadic gesagt, dass die DS und SPS die gleiche Ideologie der Sozialistischen Internationale verbinde, was viele als schlechten Witz empfanden.

Nach den Parlamentswahlen vor einem Monat kann keine künftige Regierung ohne die SPS und ihre Koalitionspartner gebildet werden. Noch während die SPS mit den ultranationalistischen Radikalen (SRS) und der nationalkonservativen "Demokratischen Partei Serbiens" (DSS) über eine EU-skeptische Regierung verhandelte, tat Tadic alles, um der SPS den Übertritt in den proeuropäischen Block schmackhaft zu machen.

Sogar das Amt des Premiers für den SPS-Chef Ivica Dacic sei im Gespräch, wollen Medien wissen. Entscheidend für die Wende in den Koalitionsverhandlungen sei gewesen, dass die SPS für die Ratifizierung des Anfang Mai unterzeichneten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit der EU war. Ihre ideologischen Partner im nationalistischen Block lehnen das ab, weil das SAA angeblich indirekt die Unabhängigkeit des Kosovo anerkenne.

Nachdem Tadic der SPS feierlich die Hand reichte und zur "nationalen Versöhnung" aufrief, wurde in Serbien die Debatte eröffnet, wo man die Grenzen des politischen Pragmatismus ziehen sollte. Milosevic SPS herrschte ein Jahrzehnt in Serbien und trieb das Land von einem Krieg in den anderen. In dieser Zeit wurden politische Gegner und regimekritische Journalisten umgebracht, Wahlen gefälscht, Bürgerproteste brutal niedergeschlagen und das Land ausgeplündert.

Die SPS denkt nicht daran, ihre "Identität" aufzugeben. Dennoch solle die DS mit der SPS eine Regierung bilden, die Serbien in die EU führt, meinen Kritiker aus bürgerlichen Kreisen. Doch wenn Tadic dabei zur kollektiven Amnesie aufruft, Gut und Böse, Gerechtigkeit und Verbrechen vermenge, müsse Serbien um seine Zukunft bangen, verkündete die "Sozialdemokratische Union".

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