Nationale Armutskonferenz in Berlin: Klimaschutz nicht auf Kosten Armer
Die Armutskonferenz fordert höhere Entlastungen und mehr Mitbestimmung für Arbeitslose. So könnten ökologisch sinnvolle Jobs entstehen.
BERLIN taz | Klimaschutz darf nicht zu Lasten von Menschen gehen, die in Armut leben. Das fordert die Nationale Armutskonferenz, ein Bündnis von Verbänden und Initiativen, welches sich am Donnerstag und Freitag getroffen hat. Unter dem Titel ‚Ein ökologisches Existenzminimum für alle!‘ kamen Menschen mit Armutserfahrungen zusammen, um acht Forderungen mit Bundestagsabgeordneten aller Parteien – außer der AfD – zu besprechen.
Laut Kay Raasch, Mitglied der AG Beteiligung der Armutskonferenz, riskiere die Bundesregierung, dass die Bedürfnisse von Armutsbetroffenen gegen effektiven Klimaschutz ausgespielt werden. Die Konferenz fordert deshalb, finanziell schwache Menschen angesichts eines Klimanotstands durch ein Klimageld zu entlasten.
Zwar hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, ein Klimageld einzuführen, welche Preisanstiege – vor allem infolge der Einführung der CO2-Bepreisung – sozial kompensieren soll. Konkrete Pläne, wann und wie es eingeführt wird, gibt es bislang jedoch noch nicht.
Anders ist es beim Bürgergeld für Gundsicherungsempfänger:innen, welches ab Januar endgültig Hartz IV ablösen soll. Am Donnerstag stellte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der ersten Lesung im Bundestag das Bürgergeld als „größte Sozialreform der vergangen 20 Jahre“ vor. Bedürftige sollen zukünftig mit einem um 53 Euro erhöhten Regelsatz besser abgesichert werden. Unter dem Motto ‚Ausbildung statt Aushilfsjobs‘ will Heil Menschen ohne Arbeit durch berufliche Weiterbildung und Umschulungen zudem schneller in den Arbeitsmarkt einbinden – denn dort herrscht Fachkräftemangel.
45 Euro Mobilitätsanteil im Bürgergeld
Die Nationale Armutskonferenz kritisiert das Bürgergeld als unzureichend. Die Reformen gingen nicht weit genug, um Menschen tatsächlich aus der Armut zu helfen – insbesondere in Zeiten des Klimanotstandes und der Energiekrise.
Tatsächlich sind Erwerbslose und Geringverdienende von den Folgen der Klimakrise sowie den Auswirkungen von Pandemie, Gasknappheit und Inflation überdurchschnittlich betroffen. Denn obwohl der Staat auch für Bezieher:innen von Bürgergeld die Heizkosten für einen „angemessenen“ Wohnraum übernimmt, müssen sie die deutlich gestiegenen Stromkosten vom Regelsatz bezahlen. Dieser soll ab Januar im Bürgergeld 502 Euro für eine Erwachsene betragen.
Und auch durch den CO2-Marktpreis im Bereich Wärme und Verkehr, den noch die Große Koalition im Zuge des Deutschen Emissionshandels eingeführt hat und der nun stufenwweise steigen soll, steigen die Kosten für Armutsbetroffene. Die Entlastungen reichen nicht aus, um diese zu kompensieren. Beispielsweise wird der Mobilitätsanteil des Bürgergeldes 45,02 Euro betragen – und damit unter dem Preis für das angekündigte 49-Euro-Ticket liegen.
Förderung nur für ökologisch sinnvolle Jobs
Neben höheren monetären Entlastungen fordert Raasch mehr Teilhabe bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: Innerhalb jedes Jobcenters soll ein Gremium von Erwerbslosen über die Qualität der Arbeit mitentscheiden können, welche die Jobcenter vermitteln, fordert Raasch im Namen der Armutskonferenz.
“Wer entscheidet denn, welche Art von Arbeit sinnvoll ist und somit staatliche Förderung bekommt?“, fragt Raasch. „Wir wollen Arbeit leisten, die sozial-ökologisch sinnvoll ist und nicht dazu gezwungen werden, ineffektive Arbeit zu verrichten“. Man wolle mit entscheiden, welche Jobs „eine Win-Win Situation für Betroffene, das Klima und die Gesellschaft schaffen“, so Raasch. Dann würden Klimaschutz und Armutsbekämpfung nicht länger gegeneinander ausgespielt.
Aktuell unterliegen öffentlich geförderte Stellen, die Unternehmen einen Anreiz geben sollen, Langzeitarbeitslose einzustellen, keinen Nachhaltigkeitskriterien. Wenn die staatliche Förderung ausläuft, dann landen die Menschen oft wieder in der Arbeitslosigkeit.
Leser*innenkommentare
93851 (Profil gelöscht)
Gast
Taz heute:
"In Irland erhalten Verbraucher im November, Januar und März jeweils eine Stromkostengutschrift über 200 Euro.
In Österreich bekommen Haushalte ein Kontingent von 2.900 Kilowattstunden Strom im Jahr zum gedeckelten Fixpreis von sagenhaften 10 Cent pro Kilowattstunde; der Staat trägt dann die Differenz zum Marktpreis. Erst den Verbrauchsanteil, der darüber liegt, bezahlt der Kunde wie marktüblich. Im Sinne eines sparsamen Umgangs mit Strom ist das nicht, da – erstens – 10 Cent extrem wenig sind und – zweitens – 2.900 Kilowattstunden mehr sind als der Bedarf vieler sparsamer Haushalte."
Geht doch — nur die Ampel kriegt's nicht auf die Kette!
Alex_der_Wunderer
@93851 (Profil gelöscht) Das österreichische Model wirkt doch sehr ausgewogen und dürfte auch, selbst für unsere aktuellen Abgeordneten, nachvollziehbar sein. Verstehen sogar unsere Enkel im Vorschulalter .