Natascha-Kampusch-Talkshow: Wer verfolgt hier wen?
Natascha Kampusch hat eine Talkshow im österreichischen Fernsehen - gut zwei Jahre, nach ihrer Flucht aus dem Kellerverließ ihres Entführers. Warum macht sie das?
WIEN taz Am Sonntag startet eine Talkshow, die den kleinen Privatsender Puls 4 wohl über Österreich hinaus bekannt machen wird. Natascha Kampusch, das Mädchen, das vor bald zwei Jahren aus achtjähriger Gefangenschaft in einem Kellerverlies bei Wien entkommen konnte, wird auftreten. Nicht, um nochmals über ihr Martyrium zu berichten, sondern als Talkmasterin. Kampusch ist inzwischen 20 Jahre alt und den Umgang mit Medien gewöhnt. Allerdings muss sie damit rechnen, dass der Auftritt vor den TV-Kameras nicht die ungeteilte Sympathie der Nation bekommen wird, wie seinerzeit ihr erstes Interview.
Damals konnte man staunen über eine eloquente junge Frau, die sich auch auf Anraten ihres Betreuungsteams nicht länger vor der Öffentlichkeit versteckte, sondern in die Medienoffensive ging. Wohl in der Hoffnung, anschließend in Ruhe gelassen zu werden. Kampusch, die noch immer psychologisch betreut wird, versucht ein normales Leben zu führen.
Doch ihre Prominenz verleiht ihr einen Status, der dem von Politikern und Filmstars ähnlich ist. Sie muss ein über das Normalmaß hinausgehendes Interesse an ihrer Person dulden. So urteilte letzte Woche ein Gericht, vor dem sie sich gegen die Nachstellungen des Boulevards zu schützen versuchte. Damit steht Kampusch auf einer Stufe mit den Gestalten der Bussi-Bussi-Gesellschaft, die die Klatschspalten der Zeitungen bevölkern. Personen, die "aus finanziellen Gründen" und "zur Befriedigung der Eitelkeit" in die Öffentlichkeit drängen, so das Urteil, müssten sich eben einiges gefallen lassen.
Natascha Kampusch kann nicht wie andere junge Frauen ihres Alters in der Disco schmusen, ohne dass ein Pressefotograf oder ein Amateur mit Digitalkamera auf den Auslöser drückt und das Bild dann umgehend als Dokument für "Nataschas erste Liebe" an das meistbietende Revolverblatt verkauft. Wenn sie jetzt via Fernsehshow in die Offensive geht, so ist das wohl auch Teil einer Strategie, das eigene Trauma zu verarbeiten.
Die erste Sendung wurde Wochen vorher aufgezeichnet. Gast ist Niki Lauda, der sich in den höchsten Tönen über die Einfühlsamkeit und die intelligente Gesprächsführung der Talkmasterin äußerte. Lauda, der im August 1976 nach einem Crash auf dem Nürburgring beinahe verbrannte, dürfte eine verwandte Seele sein. Als er einen Monat nach seinem Unfall wieder ins Cockpit kletterte, bewies er, dass man ein Trauma am besten offensiv bekämpft.
Kampusch wird nicht nur von den Medien verfolgt. Auch ihre eigenen Eltern machen ihr das Leben in Freiheit nicht immer leichter. Sie musste die unsägliche Selbstdarstellung ihrer Mutter ertragen, die in ihrem rührseligen Buch "Brigitte Sirny - mein Leben ohne Natascha" auch intimste Dinge aus dem Leben und Seelenleben ihrer Tochter ausplauderte. Einen Spießrutenlauf durch die Meute der Paparazzi hatte sie auch zu absolvieren, als sie vor kurzem als Zeugin vor Gericht erschien, wo ein Buchautor Sirny nachzuweisen versuchte, dass sie den Entführer ihrer Tochter gekannt und das Verbrechen womöglich gedeckt hätte. Und selbst Vater Ludwig Koch lädt zu privaten Feiern routinemäßig Pressefotografen ein.
Wer wüsste also besser als Natascha Kampusch, wie sich die vor einem Monat aus einem Bunker des eigenen Vaters befreite Tochter fühlt, die in einer Klinik bei Amstetten vor der Öffentlichkeit und den immer zudringlicher werdenden Paparazzi abgeschirmt wird. Sie bot auch an, der Frau und ihren teilweise im Kellerverlies aufgewachsenen Kindern finanziell unter die Arme zu greifen. Für solche Fälle schuf sie eine eigene, nicht unerheblich dotierte Stiftung.
Anders als Frau Fritzl und ihre Kinder, die mit einer neuen Identität ausgestattet werden und an einem Ort ihrer Wahl angesiedelt werden sollen, versucht Natascha Kampusch aus ihrer ungewollten Prominenz einen Modus Vivendi zu machen. Sie will die Opferrolle hinter sich lassen, was ihr von vielen auch angekreidet wird. Schon jetzt treffen in manchen Zeitungen gehässige Leserbriefe ein, wenn irgendwo ein Foto erschienen ist, das sie beim Verlassen einer Boutique zeigt. Im Fernsehen, so meint eine Psychologin, habe Kampusch die Kontrolle, könne also, anders als auf den Paparazzi-Fotos, selbst über ihr Erscheinungsbild bestimmen.
Man darf gespannt sein, ob es ihr gelingt, sich über den Moment des neugierigen Voyeurismus hinaus als Fernsehprofi zu etablieren. Scheitert sie, kann sie zumindest damit rechnen, dass das öffentliche Interesse an ihrer Person abnimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was