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Nasser Iltis

Vom Elend der Weinsprache

Leicht rotierend kreist die Nase überm Glas. Der Degustator nimmt Witterung auf. Signalisiert das Riechorgan nicht „verdichteten Preißelbeerduft“? Vermitteln sich „diskrete Veilchennoten“, gepaart mit „Orangenschale und gebuttertem Röstbrot“? Oder lassen sich – leicht wird der Wein geschwenkt – ganz hinten Anklänge an eine „frisch geöffnete Auster“ erschnuppern?

Schwer zu sagen. Zu viele verschiedene Gewächse haben bei der Weinprobe ihre Spuren im Nasenbinnenraum hinterlassen. Haben mit ihren Aromen die Sinne verwirrt. Große Weine, ja, und doch bleibt ein schaler Eindruck: Geben die Degustationsnotizen wieder, was da verkostet wurde? Der Riesling – tatsächlich „pikantes Säurespiel, etwas Grapefruitmarmelade und ein Hauch welker Rosenblätter“? Der rote Burgunder – „kecke Fruchtwürze mit reduzierter Ledernote und zartem Maronenduft“? Die Sprache, ach, wirkt unausgegoren.

Alt wie die Traube ist das Unvermögen, den Charakter eines Weins in Worte zu fassen. Wo schon virtuose Wortschmiede wie Goethe bei „gülden-herrlich“ am Ende waren, behelfen sich heute Fachleute mit Krücken. Manch einer berichtet direkt aus dem Schützengraben. Da stehen „Granaten“ und Frucht-„Bomben“ im Glas, da betört der blitzsaubere Rieslaner durch „explosives Säurespiel“ und „donnernden Nachhall“. Der Nächste übermittelt seinen Weinreport aus dem Beate-Uhse-Shop. Dort hat er neben „rassiger Eleganz“ und „schlankem Körper“ auch „mollige“, „üppige“ oder gar „vollbusige“ Tropfen entdeckt. Bisweilen fehlt dem Trollinger allerdings das Schwänzchen, „hinten kommt nichts mehr“.

Ein anderer hat bei „Brehms Tierleben“ nachgeschlagen. Der Pinot noir: „nasser Iltis“, der Cabernet: „animalische Note“, die zu früh gelesene Scheurebe: „Katzenpisse“, der Barbaresco: „ein Hauch Pferdestall“.

Kreative Metaphoriker plündern im gesamten Attributschatz: Die Weine sind „burschikos“, „aristokratisch“, „erhaben“, „verschlossen“, „atemberaubend“, „suizidal“, „exotisch“, „sinnlich“ „majestätisch“. Das deutsche Weingesetz sagt nur: Wein ist das durch alkoholische Gärung aus dem Saft der frischen Weintraube hergestellte Getränk. MAN/NOTA

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