: Nahost-Wirtschaftsgipfel ohne „Sex-Appeal“
■ Ab heute wird in Kairo über die Zukunft des Wirtschaftsraums Nahost verhandelt. Doch die Wahl Benjamin Netanjahus hat viele Geschäfte verdorben
Kairo (taz) – Eigentlich sollte es die größte, wichtigste und erfolgreichste Wirtschaftskonferenz werden, die die Region Nahost und Nordafrika je erlebt haben. Eingebettet in den Nahost-Friedensprozeß sollte der Durchbruch für die ökonomische Integration der Region erzielt werden. Ein neuer Markt wollte sich der globalen Ökonomie empfehlen. So hatte sich so mancher den dritten Wirtschaftsgipfel für Nahost und Nordafrika vorgestellt, als er vor gut einem Jahr angekündigt worden war.
Doch mittlerweile ist die Euphorie verflogen. Die Konferenz, die von heute bis Donnerstag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo stattfinden wird, hat wenig Aussichten, als historisches Ereignis in die Geschichte einzugehen. Hauptgrund: Der im Mai gewählte israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den Friedensprozeß in den letzten Monaten im Sand verlaufen lassen. Damit, so der Chef der Deutsch-Arabischen Handelskammer in Kairo, Peter Göpfrich, „hat der Wirtschaftsgipfel seinen Sex-Appeal verloren“. Selbst der Gastgeber, die ägyptische Regierung, warnt inzwischen vor allzu großen Erwartungen. In der staatlichen Presse wurde der „Wirtschaftsgipfel“ in den letzten Tagen unaffällig zur „Wirtschaftskonferenz“ verkleinert.
Meinungsverschiedenheiten gibt es zwischen den Gastgebern und den USA, dem wichtigsten Sponsor der Konferenz. In Washington fürchtet man, die Kairoer Konferenz könne zu sehr politisch gefärbt sein und sich in eine Plattform zur Verurteilung der Politik Netanjahus verwandeln. Unter den Organisatoren besteht dagegen die Hoffnung, eine wirtschaftliche Eigendynamik könne die politischen Hindernisse doch noch überwinden. Die Rede war von einer Art Evolution: Beim ersten Nahost-Wirtschaftsgipfel in Casablanca vor drei Jahren hatte fast ausschließlich die Politik das Sagen. Ein Jahr später in der jordanischen Hauptstadt Amman wurden zwar zahlreiche Mammutprojekte diskutiert, die aber meist mit politischen Hintergedanken. In Kairo sollte eigentlich endgültig der Privatsektor die Regie übernehmen.
Doch selbst der zeigt sich angesichts Netanjahus Politik gespalten. „Die Vereinigung ägyptischer Handelskammern wird nicht mit Israel zusammenarbeiten, wenn es zu keinen spürbaren Fortschritt im Friedensprozeß kommt“, erklärt deren Vorsitzender Mahmud al- Arabi. Dagegen hofft der Vorsitzende der Investorenvereinigung einer ägyptischen Industriezone, Radallah Helmy, daß die Geschäftsgemeinde nicht vom politischen Klima beeinflußt wird: „Geschäftsabschlüsse sollten vollkommen von politischen Streitigkeiten getrennt sein.“ Handelskammer- Chef Göpfrich hat in „dieser vergifteten Atmosphäre“ so manchen arabischen Geschäftsmann ausgemacht, der nun lieber wieder von Politik als von Geschäften spricht.
Auch die letztes Jahr auf dem Gipfel in Amman feierlich ins Leben gerufenen Institutionen sind bisher wenig erfolgreich. Die regionale Entwicklungsbank wartet immer noch auf ihr Startkapital. Gut 20 Prozent davon werden immer noch vom US-Kongreß zurückgehalten. Die Europäer zweifeln an dem tatsächlichen Nutzen einer solchen Bank. Selbst die arabischen Golfstaaten betonen, das lokale Bankwesen sei bereits genug ausgebaut.
„Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben“, faßt der ägyptische Außenminister das Schicksal der Bank zusammen, die eigentlich schon längst ihren Sitz in Kairo hätte beziehen sollen. Ein ebenfalls in Amman geschaffener gemeinsamer Rat für Tourismus und ein regionaler Rat der Geschäftsleute tagt seitdem mit wenig Begeisterung vor sich hin. „Was diesen Institutionen fehlt, ist schlichtweg der politische Sauerstoff“, meint Göpfrich.
Nun gilt es noch zu retten, was zu retten ist. Die Formel, auf die man sich bei den Gastgebern geeinigt hat, scheint widersprüchlich. Eine Konferenz ja, die Teilnahme Israels ebenso, aber, so Musa, Israel dürfe nicht das Zentrum des Geschehens bleiben. Es gehe nicht an, daß eine ganze Region zur Geisel der israelischen Politik werde. Israel sei einfach ein Konferenzteilnehmer – gleichwertig wie alle anderen der über 80 teilnehmenden Länder.
Statt von arabisch-israelischen Joint-ventures war in den letzten Wochen mehr von innerarabischer Wirtschaftsintegration die Rede, bisher allerdings mit wenig konkreten Projekten. Statt regionaler Projekte sind nun Länder wie Ägypten oder Jordanien darauf bedacht, den über tausend anreisenden Geschäftsleuten ihren Wirtschaftstandort im positivsten Licht zu präsentieren. Die Reaktion auf diese in der Not geborene, konzeptlose Konferenz blieb allerdings nicht aus. Zahlreiche Unternehmen, etwa unter den 60 angekündigten deutschen Firmen, dem zweitgrößten Firmenkontingent auf der Konferenz, schicken meist nur noch ihre zweite Garde. Die Aufsichtsratsvorsitzenden und Geschäftsführer ließen sich kurzerhand entschuldigen. Nun bleibt den Veranstaltern der Kairoer Konferenz nur noch, zu hoffen, daß in den nächsten Tagen der eine oder andere Handel doch noch zustande kommt und das nicht wegen, sondern trotz der politischen Lage im Wirtschaftaftsraum Nahost. Karim El-Gawhary
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen