■ Nahost-Friedensprozeß: Heute empfängt Bill Clinton Netanjahu: Zum Fototermin nach Washington
Der nahöstliche Friedensprozeß wurde schon öfters zu Grabe getragen. Aber unter die Erde bringen will ihn keiner. Zumindest nicht offiziell. Und das hat einen simplen Grund. Eine deutliche Mehrheit – auf israelischer Seite 60, auf palästinensischer Seite 70 Prozent – befürwortet den Oslo-Prozeß. Und dennoch ist der Friede weiter entfernt als jemals zuvor seit der Unterzeichnung der Oslo-Vereinbarungen vor viereinhalb Jahren.
Die US-Regierung hat deshalb die nahöstlichen Kontrahenten zu separaten Gesprächen nach Washington bestellt. Und zugleich die Erwartungen auf substantielle Ergebnisse so weit zurückgeschraubt, daß die Reisekosten für Netanjahus und Arafats Entourage von vornherein als Verlust zu verbuchen sind.
Israel hat sich festgelegt. In der ihm eigenen Interpretation des Oslo-Abkommens hat das israelische Kabinett eine Landkarte beschlossen, die das Oslo- Abkommen zu einem Treppenwitz der Geschichte macht. Eine Sicherheitszone im Westen, eine Sicherheitszone im Osten, eine Sicherheitszone um Jerusalem, eine Sicherheitszone um die 145 Siedlungen, die Kontrolle über die jüdischen Heiligen Stätten, die Wasserreserven und die Verkehrsadern lassen den Palästinensern maximal 40 Prozent des Westjordanlandes.
Laut Oslo-Abkommen sind das Westjordanland und der Gaza-Streifen aber eine territoriale Einheit. Und das Hebron-Abkommen legt fest, daß Israel sich in drei Etappen aus diesen Gebieten zurückzieht.
Doch ein Freund des Oslo-Abkommens war Netanjahu nie. Bereits bei den Madrider Friedensverhandlungen im März 1991 diktierte er, damals noch Attaché an der israelischen Botschaft in Washington, einem CNN-Journalisten, daß dieser Prozeß so schnell wie möglich gestoppt werden müsse. Und vieles deutet darauf hin, daß ihm dies vorerst gelungen ist.
Clinton weiß, daß Netanjahu nicht nur den republikanischen Kongress als Hilfstruppe mobilisieren kann. Auch Hunderttausende von biblisch inspirierten „Christen für Israel“ stehen bereit, für Israels Ministerpräsidenten Partei zu ergreifen. Netanjahu wird während seines Besuches in den USA in einer Show der christlichen Fundamentalisten auftreten. Und Vizepräsident Al Gore fürchtet um seine Präsidentschaftskandidatur, sollte ihm diese Unterstützung ebenso verlorengehen wie die der jüdischen Lobby in den USA.
Die israelischen Bataillone stehen. Und palästinensische gibt es in Washington nicht. Eine ganzseitige Anzeige von 250 israelischen Rabbinern in der Jerusalem Post zeigt den Grad der Mobilisierung, den die Regierung Netanjahu vorgibt. Clinton wird darin unter Berufung auf die Thora aufgefordert, keinen Druck auf Israel auszuüben und keine Aufgabe „israelischen Bodens“ zu verlangen.
Die Wirtschaftskrise in Südostasien und die Sex- Affäre um Paula Jones degradieren diesen Gipfel zum Fototermin. Clinton wird Netanjahu nicht zwingen, Geist und Buchstaben des Oslo-Abkommens zu befolgen. Bestenfalls werden die USA einen Vorschlag zum weiteren Prozedere unterbreiten. Und wenn weder Netanjahu noch Arafat dem zustimmen, wird die Botschaft schlicht lauten: „See you later“.
Die Verärgerung der US-Regierung über die israelische Sabotage des Friedensprozesses ist dennoch offensichtlich. Ihr entspricht eine Aufwertung des diplomatischen Ansehens der Palästinenser, das diese nicht leichtfertig aufs Spiel setzen werden. Yassir Arafat hat ohnehin keine Drohgebärde mehr zur Hand. Selbst eine neue Intifada oder eine militärische Konfrontation brächten ihn seinem Lebensziel, einem palästinensischen Staat, nicht näher.
Die Autonomiebehörde weiß nach 19 Monaten, daß sie ihr Ziel mit Netanjahu nicht erreichen wird. Sie kann nur ihren diplomatischen Vorteil nutzen und, bei Einwilligung der US-Regierung, auf eine stärkere Rolle Europas setzen. Der offenen Kritik der Europäer an Netanjahus Siedlungspolitik und der wirtschaftlichen Strangulierung der Autonomiegebiete fehlte bislang allerdings die politische Konsistenz.
Der Friedensprozeß wird länger leben als die Regierung Netanjahu. Aber derzeit ist es Netanjahu, der den Preis für dieses Überleben bestimmt. Auf Kosten der Mehrheit von Israelis und Palästinensern. Georg Baltissen
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