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Nachwuchskünstler für die KlassikManche bauen Häuser, er spielt Horn

Felix Klieser ist Horn-Solist und spielt das Instrument mit dem linken Fuß. Vor Kurzem ist das zweite Album des Echopreisträgers erschienen.

Im Herbt spielt der Göttinger zum ersten Mal in der Berliner Philharmonie. Foto: dpa

Auf der Bühne liegt ein Horn auf einem silber-metallenen Gestell, einem nicht alltäglichen Gebilde. Das Instrument gehört Felix Klieser. Gleich beginnt sein Konzert im Berliner Kleisthaus, der kulturellen Begegnungsstätte der Bundesbeauftragten für Menschen mit Behinderung. Der Ort des Konzerts spielt für Felix Klieser jedoch keine Rolle. Er präsentiert sein Horn nicht so, wie es jeder andere Musiker machen würde. Auf die Bühne gehen und es unter dem Arm halten, vor sich herhalten, es glänzen lassen, sobald das Licht der Bühnenscheinwerfer darauf reflektiert.

An diesem Abend tritt er mit seinem Klavierpartner Christof Keymer auf. Die beiden sind präzise im Spiel, obwohl es keinen Einsatz von Klieser mit den Schultern oder dem Oberkörper gibt. Das exakte Anspiel funktioniert nicht durch Blickkontakt, sondern nur durch das Einatmen Kliesers. Jüngst ist sein zweites Album „Horn Concertos“ erschienen, für das erste, romantische Album „Reveries“ bekam Klieser den Echo Klassik als bester Nachwuchskünstler. Noch in diesem Jahr wird er in der Berliner Philharmonie auftreten.

Felix Klieser wurde ohne Arme geboren und spielt das Horn deshalb mit dem Fuß. Sein linker Fuß betätigt die Ventile des Horns, es sieht akrobatisch aus, wie er den Fuß zu den Ventilen hinauf biegt. Ab und zu schüttelt er seinen Fuß, zur Entspannung. Eine Bewegung, wie die einer Ballerina. Den rechten Fuß stützt er an seinem Hornständer ab. Der große Zeh hält er dabei weit abgespreizt.

Der 24-jährige Echopreisträger ist blond. Beim Interview spricht er leise, nuschelnd Norddeutsch, nüchtern. Auf der Bühne allerdings tritt er ganz anders auf, ist witzig und moderiert seine Konzerte am liebsten selbst.

Ein wunderschöner Beruf

Warum und wie er mit vier Jahren auf die Idee kam, Horn zu spielen, weiß er nicht mehr. Dass er es beruflich machen wollen würde, wurde ihm erst relativ spät klar, mit 17 Jahren etwa. Heute sagt er, das sei nun mal sein Job. Ein Beruf, wie jeder andere einen habe.

„Ich versuche einfach, so schön Horn zu spielen wie möglich. Manche bauen Häuser, ich spiele Horn. Das ist ein wunderschöner Beruf. Wenn ich übe oder ein Konzert spiele, empfinde ich das aber nicht als harte Arbeit. Ich möchte den Menschen das Horn näher bringen und ihnen zeigen, dass es da noch mehr in der Welt der Klassik gibt als die Beethoven-Klavierkonzerte oder Sinfonien.“

Von der Musik, die er interpretiert, redet er in schlichten Worten, nicht gewollt abgehoben wie einige seiner Kollegen. „Wir spielen Stücke, die vor ein paar hundert Jahren komponiert wurden. Ich finde es absolut interessant, das die Themen in der Musik von damals sich in unserer heutigen Gesellschaft auch immer wieder finden lassen. Es ging den Komponisten um die selben Themen wie heute, etwa um die Liebe. Oder um Krieg, um Tod und auch um fröhliche Dinge.“ Klieser ist in der Lage, diese Gefühle in seinem leicht anmutenden Spiel zu transportieren, obwohl er nicht unter den gleichen Voraussetzungen spielt wie die meisten anderen Hornisten.

Neue Herausforderung mit jedem Stück

Durch Stopfen des Schalltrichters am Horn gleicht der Musiker normalerweise die Intonation des Instruments aus. Dabei wird die rechte Hand in den Schaltrichter des Instruments gelegt. Klieser schafft diese Klangveränderung mit seinem Mund. „Am Spielen ohne Hand im Schalltrichter arbeitet man ein Leben lang“, sagt er. „Es ist keine Aufgabe, hinter die man irgendwann einen Haken machen kann, ‚so, jetzt habe ich es erreicht.‘ Wie bei einem Sportler, der sich auch entwickelt. Jedes neue Stück ist eine Herausforderung, an der man tagtäglich arbeitet und versucht, sich zu verbessern. Aber ich glaube, dass man es nie schaffen wird, seine Vorstellungen zu hundert Prozent zu erreichen. Da ist man vorher tot.“

Auch über Wolfgang Amadeus Mozart redet er, wie über einen ganz normalen Typen: „Mozart hat vier relativ bekannte Hornkonzerte geschrieben. Darüber hinaus hat er viele andere angefangen, allerdings vermutlich nie vollendet. Nach seinem Tod wurden diese Manuskripte zum Teil zerschnitten und auf der ganzen Welt verteilt. Oder es wurden Papierflieger daraus gebastelt.“

Mit Leichtigkeit könnte er junge, uninteressierte Leute dazu bringen, sich für Klassik zu begeistern. Denn er versteht es, der Musik, die vor 200 Jahren geschrieben wurde, das Leben von heute einzuhauchen.

„Das Klassikestablishment ist mit seinen Ritualen sehr festgefahren. Im Endeffekt schadet das der Musik. Das muss sich ändern. Wir als Künstler müssen dem Publikum zeigen, dass wir nicht irgendwelche elitäre und abgehobene Persönlichkeiten sind. Wir sind normale Menschen und machen Musik. Dann kann eine Kommunikation entstehen, die sehr direkt und entspannt ist. Wir sind gar nicht so steif, wie alle immer glauben.“

Eine Frage der Wahrnehmung

Letztes Jahr kam Kliesers Biografie heraus, geschrieben zusammen mit der Journalistin Céline Lauer. Klieser meint dazu: „Ich hatte nie vor, ein Buch zu schreiben. Da ich besser Horn spielen kann als schreiben, habe ich mich mit jemandem zusammengetan, der das wirklich kann. Ich habe es nicht für mich geschrieben. Ich denke, dass jeder Leser seine eigenen Schlüsse aus dem Text ziehen wird. Viele fanden das erste Kapitel über das Streben nach Perfektion sehr erschreckend, ich hingegen fand das völlig normal, weil es ja so ist, dass ich ständig an mir arbeite. Alles ist eine Frage der Wahrnehmung.“ Im letzten Kapitel des Buches erklärt Klieser seine eigene Wahrnehmung von seiner Behinderung, es sei seine Möglichkeit, „die Dinge so darzustellen, wie ich sie sehe. Da gibt es kein „aber“ und keine Nachfragen. So einfach ist das.“

So einfach ist es dann doch nicht. Klieser schiebt noch nach: „Ja, mein Körper ist anders, als der von ‚normalen‘ Menschen, na und? Muss das jetzt bedeuten, dass ich Botschafter für alle Armlosen dieser Welt bin? Ich bin Hornist und ich mache das wohl ganz gut. Wenn ich möchte, dass meine Behinderung im Vordergrund steht, dann brauche ich mich auch nicht so anzustrengen und täglich Horn zu üben. Wenn ich von der Gesellschaft verlange, dass sie mich als normal betrachtet, muss ich mich selbst als normal sehen. Und das ist, was ich tagtäglich tue. Ich habe festgestellt, dass dadurch das Leben viel einfacher ist. Ich möchte mich vor niemandes Karren spannen lassen. Ich möchte Musik machen.“

Für seine 24 Jahre und seine kurze Berühmtheit ist Klieser bereits sehr genervt von den Medien. Verständlicherweise, denn sie wollen oft nur über das Offensichtliche sprechen.

„Manche Medien finden es wahnsinnig spannend, was man zu Mittag isst, oder welche Farbe das Sofa im Wohnzimmer hat. Eine Homestory bekommen sie von mir aber nicht, warum auch?“

Im Kleisthaus gibt es heute Standing Ovations. Die Bundesbeauftrage für Menschen mit Behinderung hat eine Vertretung zum Konzert geschickt. Diese strahlt, klatscht bemüht energisch, mit erhobenen Händen, als würde sie sagen wollen: Seht her, alles ist möglich. Eine Botschaft durch Klieser, die Klieser so nicht senden möchte.

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