Nachwuchs-Wettbewerb Open Mike in Berlin: Je hermetischer desto besser
Prosa und Lyrik kommen sich nahe, und die Außenwelt wirkt in den Texten wie ausgeknipst. Der Open Mike spiegelte Tendenzen der Gegenwartsliteratur.
Der Open Mike ist in Gefahr. Schon in diesem Jahr wurde der wichtigste Nachwuchs-Lesewettbewerb des Landes auf einen Tag und nur noch zwölf Texte zusammengekürzt, beides in etwa eine Halbierung im Vergleich mit den vergangenen Jahren. Die Gelder sind knapp.
Und sie werden absehbar knapper. Im nächsten Jahr könnten die Spardrohungen des Berliner Senats das Aus bedeuten. Zwischen den Lesungen sammelte das (Social-)Media-Team Video-Statements zur Unterstützung.
Veranstaltungsort für den Open Mike ist nicht das Haus der Poesie in der Kulturbrauerei im poshen Prenzlauer Berg, das die Veranstaltung organisiert, sondern der Heimathafen Neukölln in der von arabischen, türkischen, internationalen Läden und Restaurants gesäumten Karl-Marx-Straße.
Die Bio Company gleich gegenüber ist das einzige auf den ersten Blick erkennbar Gentrifizierungs-Signal. Der Heimathafen, ein Kulturraum vor allem, aber nicht nur für Theater, ist etwas von der Straße zurückgezogen gelegen, ein schmaler Hausdurchgang öffnet sich in eine eigene Welt.
Die Lesungen beginnen mittags um zwölf. Der Eintritt ist frei, der Saal ist recht voll. Das Publikum vorwiegend jung, studentisch, Menschen aus Verlagslektoraten, Menschen von Schreibschulen, die Zeitschrift Bella Triste vom Institut in Hildesheim hat einen Stand. Der Open Mike ist ein Pflichttermin im Betrieb. Viele, die hier gewannen und lasen, sind heute bekannt. Viele natürlich auch nicht.
Martina Hefter wählte aus
500 Einsendungen gab es, die Vorauswahl trafen schon Etablierte wie der Kiwi-Lektor Moritz Müller-Schwefe oder die in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis beglückte Martina Hefter. Sie stellen in kurzen Intros die von ihnen Ausgewählten lobpreisend vor. Nicht immer lösen die Texte dann ein, was der Lobpreis versprach.
Die Fenster sind abgedunkelt, als ob man sich von der Außenwelt abschotten wolle. Die Lichtstimmung ist dämmrig und rot. Das Format ist die Wasserglaslesung, die Ersten sitzen alle am Tisch, später stehen auch welche am Pult. 15 Minuten, dann bimmelt eine gottesdienstartige, freundliche Glocke. Die Hälfte sind lyrische Texte, die andere Hälfte ist Prosa.
Nominell jedenfalls. Die Zuordnung ist keineswegs in allen Fällen eindeutig, die Übergänge vom einen zum andern erweisen sich als ganz und gar gleitend. Wer aktuelle Dramatik kennt, wird feststellen: Es verhält sich hier ähnlich. Die literarischen Gattungen sind einander sehr nahegekommen.
Lyrisch sind weite Teile der Prosa: Zusammenhänge werden oft eher suggeriert als expliziert. Auf der einen Seite sprachliche Verdichtung. Auf der anderen hängt viel in der Luft. Wirklich konventionell durcherzählt eigentlich nur ein einziger Text. Eser Aktay schneidet in „Das Segensmahl“ von einer Begegnung zweier Männern im Club mit folgender Liebesnacht direkt zurück in das türkische Dorf, aus dem seine Vorfahren stammen und in dem nun die Großmutter starb.
Türkische Wörter als bewusste Fremdkörper
Erzählt wird dabei kein harter Konflikt, nur die schleichende innerfamiliäre Entfremdung. Es ist ein Text, in dem die türkischen Wörter und Sätze bewusste Fremdkörper sind, umso bewusster, als der Ich-Erzähler die Sprache der Eltern nicht mehr als eigene Sprache begreift.
Nur konsequent, dass Aktays gut gemachter Text den (einzigen) Preis der Jury in der Kategorie Prosa erhielt. Die taz-Publikumsjury wählte Muri Duridas „Neue Leichen braucht das Land“, eher szenische als narrative Prosa, die das Schießen von Bildern und das Schießen von Waffen zugleich sehr nahe und unklar das eine neben das andere rückt.
Der Rest des Erwähnenswerten war Lyrik. Nichts davon, sicher zum Leidwesen anwesender Lektorate, irgend verkäuflich. Preise gab es für Ade Ajayi, der in seinem mehr riskanten als gelungenen „A Euclidian View of Berlin as a cool place to be“ expressionistische Bilder mit literarischen Andeutungen – von Camus’ „Fremdem“ Meursault bis „Rückkehr nach Reims“ – spielerisch und schroff zugleich in ein ungeordnetes Nebeneinander sortierte. Und für Lea Luna Winzelys sprachlich nicht durchweg geglückten „Baba“, in dem ein Ich das Verhältnis zum an Krebs erkrankten Vater umkreist.
Der Eindruck täuscht nicht: alles sehr privat, vieles hermetisch. Abgedunkelt, abgeschirmt. Die Welt als größeres Ganzes, das politische Klima als immer bedrängenderer Zusammenhang, selbst das Internet: All das höchstens am Rande, die nichtprivate Wirklichkeit wie ausgeknipst. Trauma- und Gewalterfahrungen nur in Mikroskopien ganz nah am eigenen (Sprach-)Körper.
Wurzelbehandlung der Sprache
Vielleicht nur konsequent, dass die beiden literarisch gelungensten Texte auch die hermetischsten waren: Liv Thastums ungeheuer melodische Wurzelbehandlung der deutschen und dänischen Sprache („da so am krustengrund“), bei der einem jedes Verstehen zugunsten von Pun, Klang und Rhythmus vergeht.
Und Kameliya Tanevas „wir sammeln geliehene samen“: ein Text, der sich in die Tierwelt begibt, in Wahrheit aber äußerst gekonnt in der Sprache, ihre Assonanzen, in das Wortmaterial und daraus geborene Bilder verliert. Eine avantgardistische Regression. Und offenbar ist genau das der Stand der Dinge.
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