piwik no script img

Nachwahl in GroßbritannienSchlappe für die Tories

In „Chesham and Amersham“ erobern die LibDems einen Sitz im Unterhaus. Das Ergebnis für Labour bedeutet ein historisches Tief.

Freuen sich über den Sieg: Sarah Green und die LiberaldemokratInnen Foto: Steve Parsons/ap

London taz | Eine konservative Hochburg ist gefallen: Bei der Nachwahl für einen Unterhaus-Sitz im südenglischen Wahlkreis „Chesham and Amersham“ haben die Tories eine deutliche Niederlage erlitten: Ihr Kandidat Peter Fleet kam auf 35,5 Prozent der Stimmen. Siegerin wurde die liberaldemokratische Kommunikations-und Marketingexpertin Sarah Green, die auf 56,7 Prozent kam.

Die Labour-Partei von Keir Starmer, der die Partei nach ihren Absturz bei der Unterhauswahl 2019 wieder regierungstauglich machen will, brachte es gerade einmal auf 1,6 Prozent der Stimmen. Damit landete Labour sogar noch hinter den englischen Grünen (3,6 Prozent). Für Labour sei das das schlechteste Resultat bei einer Nachwahl überhaupt, sagte der britische Wahlexperte John Curtice. Die Nachwahl war notwendig geworden, weil die konservative Abgeordnete Cheryl Gillan einem Krebsleiden erlegen war.

Der Wahlsieg hat verschiedene Ursachen. Die Mehrheit der Wä­hler­l*in­nen des Wahlkreises „Chesham and Amersham“, der am Ende des Londoner S-Bahnbereichs liegt, war und ist gegen den Brexit. Auch scheint das Konzept der Konservativen Partei unter Regierungschef Boris Johnson nicht aufgegangen zu sein. Die Tories hatten mit ihrer Politik des „Levelling-Up“ vor allen die „vergessenen“ Nied­rig­löhner*in­nen im postindustriellen und den Brexit befürwortenden Norden Englands ansprechen wollen, um so Labour Stimmen abzujagen. Im wohlhabenden Süden kommt das offenbar eher schlecht an.

Zudem hatte sich Sarah Green als Verteidigerin der Interessen der Region in Szene gesetzt und war damit teilweise sogar auf Konfrontationskurs zu ihrer eigenen Partei gegangen. Nach wie vor ist sie eine Gegnerin des umstrittenen HS2-Höchstgeschwindigkeitsbahnnnetzes, dessen Bau bereits begonnen hat. Zwei nahezu gradlinige 16 Kilometer lange parallele Tunnel verlaufen unter dem Gebiet des Wahlkreises. Auch eine geplante Reform von Bebauungsplänen fand vor Ort nur wenig Anklang. Die Reform sieht vor, dass bestimmte Zonen in diesem grünen Wahlkreis in Bauland umgewandelt werden sollen.

Mehrheit im Stadtparlament

Der Sieg der Liberaldemokraten hatte sich bereits im Mai abgezeichnet. Bei den Regionalwahlen im Amersham gewannen die LibDems die Mehrheit im Stadtparlament. Vergleichbare Erfolge verbuchten die Li­be­ral­de­mo­kra­t*in­nen im Mai auch in anderen regionalen Wahlkreisen im Süden Englands – etwa den Grafschaften Wiltshire und Oxfordshire sowie im Wahlkreis Tunbridge Wells in der Region Kent.

Der LibDem-Vorsitzende Ed Davey bezeichnete das Wahlergebnis als Schock und Beweis dafür, dass die blaue Mauer (blau ist die Farbe der Tories, Anm. d. Red.) fallen könne. Er war 16 Mal in den Wahlkreis gereist, um seine Kandidatin zu unterstützen. Demgegenüber behauptete der konservative Verlierer Peter Fleet, das Votum der Wäh­le­r*in­nen sei eine schallende Ohrfeige für Boris Johnson und dessen Partei.

Die nächste Runde im politischen Kampf lässt nicht lange warten. Am 1. Juli findet im nordenglischen „Batley and Spen“ in der Grafschaft Yorkshire eine weitere Nachwahl statt.

Das ist jener Wahlkreis, in dem vor fünf Jahren die Labourpolitikerin Jo Cox auf offener Straße von einem Rechtsradikalen ermordet worden war. Ihre Nachfolgerin, die ehemalige Schauspielerin Tracey Brabin, war im Mai nach ihrer Wahl zur Regionalbürgermeisterin von ihrem Amt zurückgetreten. Davon wollen die Konservativen, wie auch in anderen alten sogenannten Red Wall-Wahlkreisen im Norden, profitieren.

Doch das dürfte schwierig werden. Als Kandidatin für Labour tritt keine geringere als Kim Leadbeater, an – die Schwester von Jo Cox. Laut einer Umfrage von Number Cruncher Politics UK am 28 Mai liegt die Zustimmung für die Tories bei 44 Prozent. Für die LibDems können sich nur sieben Prozent der Befragten erwärmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Mal zum historischen Tief der Arbeitspartei: Es stimmt 1,3% ist das schlechteste Ergebnis. Aber nur 0,4% weniger als bei der Nachwahl in Winchester im Jahre 1997 - und das fand zu einen Zeitpunkt statt als die Arbeitspartei in den Umfragen 25% vor den Konservativen lag.

    Oder anders gesagt, das die Wähler der Arebitspartei bei Nachwahlen in Wahlkreisen taktisch die Liberaldemokraten wählen wo diese bessere Chancen haben ist wirklich nichts neues und sagt gar nichts über den Zustand der Partei aus.