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Nachtzug von Kyjiw nach PrzemyślLuftschutzapp auf lautlos schalten

Frisch geduscht auf bequemen Pritschen: Im Nachtzug von Kyjiw ins polnische Przemyśl lässt es sich gut schlafen. Wenn kein Luftalarm ausgelöst wird.

Genug Zeit für innige Abschiede: In Kyjiw steht der Zug schon eine halbe Stunde vor Abfahrt bereit Foto: Kay Nietfeld/dpa

Przemyśl taz | Nach Kyjiw fliegt niemand mehr – seit dem russischen Überfall im Februar 2022 ist der Luftraum für zivile Flugzeuge geschlossen. Bleiben Straße oder Schiene. Letztere ist die deutlich bequemere Variante.

Wir wählten für die Hinreise eine Zugverbindung tagsüber von Warschau nach Kyjiw. Nach 15 Stunden kamen wir am Abend erschöpft an. Deshalb buchen wir für den Rückweg den Nachtzug nach Przemyśl (ausgesprochen: „Pschemischl“), einer Stadt im äußersten Südosten Polens. Los geht es pünktlich um 21.09 Uhr in Kyjiw-Passaschyrskyj, dem Hauptbahnhof, von dem es sechs tägliche Direktverbindungen nach Przemyśl gibt. Möglich ist aber auch ein Zwischenstopp im schönen Lwiw.

Vor der Abfahrt können Reisende in einer Lounge im Hauptgebäude – falls es nicht gerade einen Luftalarm gibt – noch günstig duschen. Damit die anderen Passagiere im Abteil nach einem langen, heißen Junitag in der Stadt nicht schon zu Beginn der Reise olfaktorisch überfordert werden. Der Zug fährt am Freitagabend eine halbe Stunde vor Abfahrt ein, sodass noch genügend Zeit bleibt, sich das Treiben auf dem belebten Bahnhof anzusehen. Wir sehen uniformierte Männer, die von ihren Familien mit Blumen empfangen werden, oder Frauen mit Kindern, die mit schweren Koffern in unseren Zug steigen.

taz-Serie Nachtzugkritik

Nachtzüge sind eine umweltfreundliche Alternative zu vielen Flügen. Die taz stellt deshalb in loser Folge Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiver werden. Alle Folgen gibt es auf taz.de/nachtzugkritik.

In unserem Viererabteil haben wir die Plätze auf den oberen Pritschen. Ideal, denken wir, denn die Fenster lassen sich nur ganz oben, direkt an der Pritsche einen Spalt öffnen. Aber kurz nach Abfahrt bedeutet uns die Waggonschaffnerin, untermalt mit Gesten, die Fenster zuzulassen, damit die Klimaanlage in dieser heißen Nacht das Abteil auf erträgliche Temperaturen abkühlen kann. Das frische, noch eingeschweißte Bettzeug wird verteilt und wir beziehen die bequemen Betten. Nebenbei kaufen wir bei der Schaffnerin noch Tee mit unseren letzten Hrywnjas, der ukrainischen Währung.

Sieben Stunden durch Wolhynien und Galizien

Mit uns sind ein Mann und eine Studentin im Abteil, auf dem Weg nach Polen beziehungsweise Deutschland. Da aber schnell deutlich wird, dass der Nachtzug zum Schlafen ist, putzen wir uns bald die Zähne und ziehen uns auf die Pritschen zurück, während der Zug vorbei an Butscha nach Westen rollt. Wir haben nicht vergessen, die Luftschutzapp auf dem Handy auf lautlos zu stellen, damit das Abteil ruhig schlafen kann.

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Und so geht es etwas schaukelnd, aber friedlich sieben Stunden durch Wolhynien und Galizien, auch weil fahrende Züge fernab der Front bislang – wohl nur aus technischen Gründen – noch nicht ins Visier der russischen Drohnen gekommen sind. Ich schlafe recht schnell ein und wachte erst auf, als es draußen hell wurde. Kurz nach Sonnenaufgang werden vor der Grenze die Pässe eingesammelt und ukrainische Beamte gehen systematisch durch den Zug.

Nach etwa zwei Stunden rollen wir weiter über die Grenze bis in den Bahnhof von Przemyśl um 6:29 Uhr. Dort endet das Breitspurgleis des ukrainischen Netzes, der Anschluss nach Krakau wartet. Davor geht es aber noch durch die polnische Grenzkontrolle neben dem Bahnsteig, vor der sich alle Passagiere etwas ungeordnet anstauen. Wir stehen noch eine halbe Stunde an – bevor wir in einem Coffeeshop lecker süß frühstücken und noch kurz das sehenswerte Zentrum des einst multikulturellen Przemyśl erkunden.

Seit 2022 ist Przemyśl nun wieder ein Knotenpunkt mitten in Europa, mit Direktverbindungen von Kyjiw, Dnipro, Charkiv und Odesa, sowie nach Berlin, Prag und Wien, die auch uns bis zum Ende des Tages nach Hause bringen. Ukrainer kaufen die Tickets für den Nachtzug über Diia („Der Staat und ich“), die digitale E-Government-Plattform der Ukraine.

Alle anderen müssen sich in der App der ukrainischen Eisenbahn registrieren und dort buchen. Das Ticket kostet umgerechnet rund 50 Euro. Am besten, man bucht schon zwei Wochen vor Abfahrt, wenn die Tickets erhältlich werden. Gerade an Wochenenden sind die Plätze schnell weg.

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