Nachtzug Wien-Hamburg: In der Holzklasse
Günstiges Ticket, gesparte Zeit und besserer Fußabdruck. Das macht das volle Abteil im Nightjet Wien–Hamburg und das Schlafen im Sitzen wieder gut.
Jede Nacht der Woche befährt die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) die Strecke von Wien nach Hamburg über u. a. Nürnberg und Hannover. Tagsüber dauert die Reise etwa neun Stunden mit Umsteigen; bei Nacht zwölfeinhalb ganz ohne Umsteigen. Steigt man abends um 20:11 Uhr in der Stadt an der Donau in den blauen Nightjet ein, erreicht man morgens um kurz vor neun die Stadt an der Elbe. Ausgestattet sind die Waggons mit 6er-Sitzplatzabteilen, Liegewägen mit vier oder sechs Liegen und Schlafwägen mit ein bis drei Betten. Auch Damenabteile gibt es. Beim Liege- und Schlafwagen ist Frühstück inbegriffen. Bucht man rechtzeitig, gibt es Tickets bereits ab 30 Euro für einen Platz im Sitzabteil.
Wir haben zwei Sessel im Sitzabteil. Die Holzklasse ist gut gepolstert: Die blauen, breiten Ohrensessel sind kein Himmelbett, aber bequemer als jeder ICE-Sitz, und lassen sich nach hinten kippen. Kennt man die Person gegenüber bzw. ist der gegenüberliegende Sessel frei, können die beiden Sessel in Liegeposition gebracht werden und berühren sich dann in der Mitte.
Die Reservierungen sind altmodisch noch mit Papierzetteln am Abteil angesteckt. Als es so scheint, als blieben manche Abteile leer, beginnt eine Reise nach Jerusalem: Alle versuchen sich auf die noch leeren Abteile zu verteilen. Bald kommen jedoch die eigentlich Reisenden doch noch zu ihren Abteilen. Die Reise durch die Gänge geht zurück ins Ausgangsabteil.
In unserem Abteil sitzen wir zu fünft. Mit Ausstrecken auf die andere Sitzseite wird es also nichts. Auch der Stauraum über den Sitzen ist zu klein, wenn alle Reisenden mehr als Handgepäck dabeihaben. Zum Glück kann auf den sechsten Sitz ein Rucksack gestellt werden. Die Schaffnerin findet, die Fahrgäste hätten zu große und zu viele Gepäckstücke dabei. Sie hat alle Hände voll zu tun: Kontrolliert Fahrscheine, beruhigt einen aufgebrachten Gast, der seinen Koffer nicht unterbekommt, dirigiert ihn an einen anderen Platz und findet eine Lösung für das Gepäck. Zudem schenkt sie Tee mit Zitrone und Milch sowie Kaffee aus.
Nachtzüge sind eine umweltfreundliche Alternative zu vielen Flügen. Die taz stellt deshalb in loser Folge Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiver werden. Alle Folgen finden Sie auf www.taz.de/nachtzugkritik.
Angenehme Arbeitsatmosphäre
Wiener Kaffeehaus-Stimmung kommt dadurch zwar nicht auf, dafür herrscht eine angenehme Arbeitsatmosphäre in unserem Abteil. Drei Laptops sind aufgeklappt. Eine ältere Dame liest auf ihrem E-Reader, ein Mann ein Buch. Immer wieder knistert und raschelt es: Da gönnt sich einer einen Mitternachtssnack, da lutscht eine ein Bonbon, da findet eine ihr Ladekabel nicht, da packt einer Chips aus. Die Luft im Abteil ist ein wenig abgestanden und ein bisschen zu warm. Zwischendurch kommt der Geruch von heißen Kupplungen dazu.
Das Licht im Abteil lässt sich dimmen, sodass die einen arbeiten, die anderen schon schlafen können, bevor es ganz ausgeknipst wird. Die Nacht ist angenehm ruhig, der Zug wackelt und ruckelt selten, es gibt keine Durchsagen. Die Toiletten befinden sich im Gang. Alle funktionstüchtig und begehbar. Morgens fühlt man sich ein bisschen zerknittert. Die Sonne geht auf. Die selbe Schaffnerin läuft wieder durch die Gänge. Der neue Tag kann mit dampfendem Kaffee starten. Erstaunlich gut ausgeschlafen kommen wir im Norden Deutschlands an.
Die Fahrt mit dem Nachtzug gibt das Gefühl, weit gereist zu sein. Gleichzeitig ist man einfach durch die Nacht geflogen und hat sich einen Reisetag gespart. Und das alles mit einem kleineren CO2-Fußabdruck, rechnet die ÖBB auf dem Bahnticket vor: So soll pro Person 226,7 Kilogramm CO2 gespart worden sein im Vergleich zur Reise mit dem PKW.
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