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Nachschlag

■ 14. Musik-Biennale, Auftakt mit Eötvös, de Vroe, Ore

Peter Eötvös, als Dirigent längst renommiert, versucht sich neuerdings als Mitglied des dreiköpfigen Programmkomitees der Berliner Musik-Biennale. Und ist er schon mal da, leitet er gleich drei Konzerte des Festivals. Als Komponist aber hat er sich mit der Aufführung eines einzigen eigenen Werkes beschieden, die unter Mitwirkung des Ensemble Modern Samstag abend im Kammermusiksaal der Philharmonie stattfand.

Die Uraufführung Nicolaus Richter de Vroes „entfernt: Tänze für 19 Instrumentalisten“, ein Auftragswerk der Musik-Biennale, eröffnete den Abend. Richter de Vroe komponiert, wie man heutzutage komponiert: Einen Ton darf man zu Beginn durch verschiedene Instrumente führen, das haben Schönberg, Webern, Nono und sehr exzessiv Scelsi ja auch getan. Das Ende des Stückes dagegen, ein über stetem Schlag pulsierendes Feld, erinnert nicht nur entfernt an Bernd-Alois Zimmermanns berühmtes Orchesterstück „Stille und Umkehr“, sondern mag auch dem, der Jan Chrisous „Mysterion“ aus dem Jahre 1966 kennt, nur als fahler Abglanz erscheinen. „Richter de Vroes Werk läßt auch auf das hören, was die Musik verschweigt und doch als angedeutete Möglichkeit in sich enthält“ heißt es lapidar im Programmheft und stimmt: Die hier angedeuteten Möglichkeiten sind längst von anderen auskomponiert und über 20 Jahre alt.

Die norwegische Komponistin Cecilie Ore steuerte das nächste Stück „Erat – erit – est“ (Es war – es wird sein – es ist) bei. Vergangenheit und Zukunft soll es da zur Gegenwart, zur Fülle des Augenblicks zusammenziehen, entnehme ich dem Programmheft. Und dann wurd's doch eher bleierne Zeit, als stelle sich ein pubertierendes Mädchen vor, wie Beethoven heute schriebe, und was tat's? – stürzte sich expressiv auf die Pauke, wieder und wieder, und obwohl das Kammerensemble dazu alle Register ziehen durfte, schaffte dieses es einfach nicht, ein Symphonieorchester zu sein. In Eötvös eigenem „Steine“ darf der Dirigent zwei ebensolche als Einsatzzeichen gegeneinander hauen oder den Musikern Zeichen geben, wann sie es mit ihren Steinen tun. Christian Wolff hat solche Sachen in den guten alten Sechzigern bereits komponiert, nur hatte er den Musikern ihre Instrumente nicht gelassen.

„Amers“, der Titel des folgenden Stückes für Cello, Elektronik und Ensemble von Kaija Saariaho, bezeichnet, ins Deutsche übersetzt, irgendwelche Seefahrtszeichen; bezeichnend aber, daß der Exeget im Programmheft das identisch ausgesprochene Wörtchen „amer“ nicht bedachte, welches nichts anderes als „bitter“ bedeutet. Bitter aber ist es, wie unausrottbar die Lüge im Benjaminschen Sinne des „Als-ob“ mit der elektronischen Musik verwoben ist – hier nun durften synthetische Celloklänge die fehlende Streichergruppe ersetzen. Musikalisch paarte sich leere Instrumental-Gestik des Soloparts mit weitschweifender Rhetorik, metaphysisch inflationär klingeln dazu bisweilen abgesampelte Mahlersche Glocken; auch ein paar psychedelische Klängchen dürfen mittun, für die sich Pink Floyd vor zwanzig Jahren bereits geschämt hätten. Klaus Schrager

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