Sanssouci: Nachschlag
■ Ausgrabungen II
„Blut“ und „Herz“ sind die Schlüsselworte in John Fords Rachedrama „Schade, daß sie eine Hure war“. Das grausige Ende verbindet die beiden Wörter zum Bild. Auf einen Dolch gespießt, trägt der Held Giovanni (Baki Davrak) das blutige Herz seiner Schwester vor sich her – „ein Herz, ihr Herrn, drin meins begraben ist“. Denn in den Adern der Geschwister fließt Wälsungenblut, und ihr Inzest nimmt nicht nur für sie, sondern noch für einige andere Figuren ein blutiges Ende.
Die Stücke John Fords – eines Shakespeare-Zeitgenossen, über dessen Leben nur wenig bekannt ist – werden heute selten gespielt. Dennoch ist „Schade, daß sie eine Hure war“ durchaus nicht nur von historischem Interesse. Denn schon wegen der komischen Elemente hebt sich die Tragödie, so spektakulär ihre Handlung auch ist, von den zahlreichen Schauerstücken ab, die zur damaligen Zeit bekannt und beliebt waren.
Über weite Strecken spielt das Stück in einem lächerlichen bourgeoisen Milieu, in dem geldgierige Kirchenmänner, intrigante Lebedamen und nüchterne Kaufleute rücksichtslos ihre Zwecke verfolgen. So rettungslos korrupt ist die Gesellschaft von Parma, dem Ort der Handlung, daß der Inzest – zur Zeit Fords eine Todsünde – allein durch die Isolation der Geschwister von dieser Gesellschaft in einem milderen Licht erscheint. Gegen die Konvention setzt Giovanni das Recht des Herzens: „Gemeine Meinung ist ein eitler Narr, der, wie die Rute, die ein Kind in Angst hält, den unerfahrenen Verstand erschreckt.“
In Dirk Steinmanns Inszenierung im Schoko-Laden tragen denn auch nur Giovanni und seine Schwester Annabella (Gloria Escobar) natürliche Frisuren und einfache Kleider. Die übrigen sind nach der wohl künstlichsten abendländischen Mode überhaupt gekleidet, dem Rokoko. Besonders prächtig schmückt sich der eitle Dummkopf Bergetto (Boris Bläske), dessen komische Werbung um die schöne Annabella in dem Versprechen kulminiert, sie „trotz ihrer Zähne“ heiraten zu wollen. Trotzdem hat sich Bergetto eine gewisse kindliche Unschuld bewahrt und fällt rasch einer Intrige zum Opfer. Am Ende überleben nur lebenskluge Zyniker. Keine Versöhnung über den Gräbern wie in „Romeo und Julia“ mildert den Pessimismus dieses Schlusses.
Weil die Nebenhandlungen so üppig wuchern, leidet die Inszenierung kaum darunter, daß die Darsteller des tragischen Geschwisterpaars mit wenig Elan spielen. Die übrigen Schauspieler, etwa Uwe Meier als greisenhaft fistelnder Kardinal oder Maud Glasstetter als kupplerische Zofe, machen das leicht wieder wett. Obwohl die Aufführung sich mit dem absoluten Minimum an Requisiten begnügt, wirkt der kahle Raum, von dessen Wänden der Putz bröckelt, als Festsaal, Wald und Schlafzimmer überzeugend. So viel Spannung wird darin erzeugt, daß man sogar das leise Gluckern der Heizungsrohre überhört. Miriam Hoffmeyer
„Schade, daß sie eine Hure war“ von John Ford, bis 14.11. im Schoko-Laden, Ackerstraße 169–170, Mitte, jeweils 20.30 Uhr.
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