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SanssouciNachschlag

■ "in situ" von Andi Ginkel bei Velten in Schöneberg

Andi Ginkel, „ in situ“, Detail, 1993 Foto: Jens Ziehe

Es ist Freitag abend – Ausstellungseröffnung. Die Gäste kommen, es geschieht, was auf Vernissagen immer geschieht: man redet, trinkt, raucht, knüpft Kontakte. Bloß Kunst fehlt an diesem Abend. Die „Ausstellungs“-Besucher mit sich und dem Wein allein. Die Räume sind leer, die Wände weiß, der für Berliner Altbauwohnungen typische Dielenboden ist Rotbraun gestrichen. Ochsenblut nennt sich der Farbton. Auf den obligaten Plastikbechern stehen Aufschriften wie „Wem nützt das?“ – „Arbeitszeit“, aber auch „Konkreter Ekel“, „Alles steht still für einen Moment ( ), kein Mund um zu saugen, kein Arschloch um zu scheißen“ oder: „Die Wahrnehmung der Sukzession setzt die Sukzession der Wahrnehmung voraus“. Manche der Sprüche erinnern an die Wortspiele der US-Amerikanerin Jenny Holzer, andere sind hochpoetisch: „Nun nicht im Bilde mehr und nicht im kurzen Glück, im Tode find ich den Lebendigen“.

Die wenigen peinlichen Momente an diesem kunst-losen Vernissagenabend werden mit Witzeleien überbrückt, lediglich jene Gäste, die einen Becher etwa mit dem schrecklichen „Arbeit macht frei“ erwischt haben, lachen nicht. Später, wenn genügend Wein getrunken ist, löst sich die Gesellschaft wieder auf – bis zum nächsten Mal. Zurückgeblieben aber sind leere Flaschen und volle Aschenbecher, die eigene Erwartungshaltung und die Ahnung, an diesem Abend einmal unverhofft selbst im Mittelpunkt des Geschehens gestanden zu haben.

So minimal sich die Arbeit des in Berlin und London lebenden Künstlers Andi Ginkel gibt, so feinsinnig ist sie doch und so exemplarisch steht sie für das Projekt, das der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Herbert Jochmann im zurückliegenden Jahr in einer Privatwohnung an der Potsdamer Straße organisiert hat. Im Rahmen der Ausstellungsreihe „ in situ“ wurde dort von sieben KünstlerInnen auf subtile Art erprobt, wie ein Raum durch ein paar Eingriffe zum Austragungsort von Kunst, gleichzeitig aber zur Kunst selbst werden kann. Geschieht etwas, oder vielmehr nichts? Die Antwort, sagt Andi Ginkel, muß jeder einzelne für sich geben. Ulrich Clewing

Bis 4.12., c/o Velten, Do und Fr 17-19.30 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Potsdamer Straße 103, HH, 2.Stock, Schöneberg

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