■ Nachschlag: Jürgen-Baldiga-Benefiz im SchwuZ
Der gute Zweck heiligt fast alle Mittel: Eine Heerschar männlicher und weiblicher Chansonetten, Travestiedarsteller und Minimalhumoristen sowie jede Menge geschlechtlicher Mischwesen aus dem Umfeld des Schwulenzentrums SchwuZ huldigten am Sonntag ein bißchen sich selbst, aber vor allem dem Fotografen Jürgen Baldiga. Baldigas fotografischer Blick galt all jenen, die im Abseits stehen: Schwule und Greise, Behinderte und Penner, Tunten und Transsexuelle. Denen fühlte er sich, zumal als schwuler Aidskranker selbst doppelt von der Gesellschaft ausgegrenzt, zugehörig. Mitfühlend und doch auch schonungslos war sein bildnerischer Umgang mit ihnen, radikal und offen der mit der eigenen Sexualität, seiner Krankheit und seinem Sterben. 1993 ist er 34jährig den Folgen von Aids erlegen. Zu seinem 3. Todestag soll im Dezember im Künstlerhaus Bethanien die erste umfassende Werkschau und ein Katalogbuch präsentiert werden. Das kostet Geld, etwa 150.000 Mark. Geld, das über Stiftungen und Förderungen noch nicht finanziert ist. Ein dreitägiges Benefizprogramm, betitelt nach Baldigas erster Buchveröffentlichung, „Bambule“, soll das Finanzpolster aufbessern.
Auf der Bühne des SchwuZ fanden sich bei der Premiere zwei Dutzend KünstlerInnen ein, von Elvira Westwärts bis Giselle d'Apricot, die im schwulenbenefizüblichen Dauermarathon von viereinhalb Stunden auch einen gewissen Dilettantismus wieder einmal gnadenlos unter Beweis stellten. Moderateuse Wanda de la Gosse etwa demonstrierte in ihrem Interview mit dem Nachlaßverwalter Ullmann Hakert die Abwesenheit jeglicher inhaltlicher Vorbereitung, und viele der gutgemeinten Sangesproben diverser (echter und falscher) Damen rund um die Themen Sex & Liebe und Abschied waren eben nicht mehr als solche. Kleine Lichtblicke: Altstars wie ChouChou de Briquette oder Melitta Poppe, die eine eigene Bearbeitung von Stockhausens „Gesänge der drei Jünglinge im Feuerofen“ präsentierte, adaptiert „für Transvestit, Trompete und Tilly“. Die Stargäste des Abends allerdings waren erwartungsgemäß die Popette Betancor und Cora Frost samt Begleitmusiker Hans Jehle und Gert Thumser. Die letzteren boten Kostproben ihrer neuen, noch namenlosen Formation inklusive der Ex-“Malediven“-Sängerin Ruth Müller. Mit ihrem Programm „Starlightserenade“ aus swingendem Barjazz und American standards werden sie demnächst die deutsche Kleinkunstwelt zu erobern versuchen. Axel Schock
Noch heute, 21.30 Uhr, SchwuZ, Mehringdamm 61. Spenden: Hakert&Neubert, Deutsche Bank (BLZ 10070000), Nr. 845366400
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen