■ Nachschlag: Expressiv und sinnlich - Bauten von AMP in der Galerie Aedes
Nur auf den ersten Blick erscheint es paradox: Im Zeitalter der Globalisierung, am Ende des architektonisch ganz wesentlich vom „International Style“ und seinen Folgen geprägten 20. Jahrhunderts, erweist sich ausgerechnet der Regionalismus als einer der Königswege zu einem innovativen Bauen. Immer mehr, vorwiegend junge Architekten entdeckten in den letzten Jahren das kreative Potential, das der Architektur, jenseits aller Heimatstilfolklore, aus einer regionalen Verwurzelung erwachsen kann. So auch das des kanarischen Architekten-Trios Artengo, Menis und Pastrana (AMP), dem die aktuelle Ausstellung der Architektur-Galerie Aedes gewidmet ist. Unter dem Titel „Morphologische Architektur“ werden insgesamt acht, teils realisierte, teils im Bau befindliche Projekte des 1981 gegründeten, in der Inselhauptstadt Santa Cruz de Tenerife ansässigen Büros präsentiert. Großformatige Fotografien, Pläne und Skizzen dokumentieren eine Architektur, die, unterstützt von einer harmonischen Farbgebung und einer die sinnliche Qualität betonenden Verwendung von Baumaterialien (Beton, Naturstein, farbiger Putz, Holz, Glas und Eisen), vor allem durch ihre überaus expressive Formensprache beeindruckt. Von zentraler Bedeutung ist dabei der von AMP virtuos gehandhabte Beton, dessen künstlerische und konstruktive Möglichkeiten ihrem skulpturalen Ansatz sehr entgegenkommt. Bei seinen kühnen, aufsehenerregenden Formschöpfungen läßt sich das Trio sowohl von der natürlichen Inseltopographie und ihren vulkanischen Gesteinsformationen als auch von „außerhalb“ inspirieren.
So bezeugt etwa das Studentenwohnheim „San Agustin“ (1993) die Auseinandersetzung mit Le Corbusier und Louis Kahn, die Sporthalle „Ana Bautista“ (1993) mit ihrem dynamisch geschwungenen, wellenförmigen Dach zeigt Anklänge an die Konstruktionen Pier Luigi Nervis, das Wohnhaus „Proa“ (1994) offenbart Einflüsse des Jugendstils und des Kubismus, schließlich ist der seit Jahren im Bau befindliche Sitz des Regierungspräsidiums, mit seinen verzerrten, ineinandergeschachtelten Kuben, ohne den Dekonstruktivismus kaum denkbar. Wie meisterhaft AMP auch im ländlichen Kontext zu bauen verstehen, beweisen der „Garten der Entdeckung“ (im Bau), das „Naturbad im Ozean“ (1993) und der Entwurf für ein „Archäologisches Museum“ auf Lanzarote. Bezeichnenderweise fehlt unter ihren Arbeiten bis heute ein für die Kanarischen Inseln, zumindest in quantitativer Hinsicht, wichtiger Gebäudetypus: ein Hotel. Ob sich das, angesichts der internationalen Aufmerksamkeit für ihre spannende Architektur, bald ändert? Mathias Remmele
Galerie Aedes, S-Bahnbogen 600, bis 22.8., Katalog 20 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen