■ Nachschlag: „Silence moves“ – Kompositionen von Iris ter Schiphorst
Wer Belletristik liest, sieht vor seinem inneren Auge meist eine komplexere Geschichte als je beschrieben; bei Trompe-l'÷ils wird eine Dreidimensionalität erkannt, wo es keine gibt. Durch ein Zusammenspiel von Bild und Ton experimentiert die Komponistin und Pianistin Iris ter Schiphorst mit der Spannung zwischen wirklichem Geschehen und Sinnestäuschung nun auch in der Musik.
Zu Beginn ihres Stückes „Silence moves“, das im Podewil aufgeführt wurde, werden auf eine transparente Leinwand rhythmisierte Striche, Linien und fragmentarische Bilder projiziert. Eine verwirrende Dynamik entsteht, die von einer chaotischen Geräuschkulisse begleitet wird: Ist das verwunschenes Schlurfen durch Regen und herabgefallene Blätter in einer synthetischen Stadt? Ist das Autolärm im verblassenden Licht? Die sichtbar hinter der Leinwand agierenden Musikerinnen der elektroakustischen Formation „Intrors“ nehmen die Anfangseindrücke auf und fügen sie in eine eigenwillige Ordnung zwischen Sich-Ausdrücken und Verstummen ein. „Jemand ist tot“, so die sparsame Mitteilung, hinter der sich ein Motiv verbirgt, um das „Silence moves“ kreist. Es geht um Anfang und Ende von Sprache und Wahrnehmung.
Im Verlauf des Stückes werden Bilder Musik ersetzen und Musik Bilder. Die Linien stehen für eine Art Vibrato, Bewegungen der Musikerinnen für Taktstriche, ein Hammer schlägt im Film gegen eine Wand, durch die Musik wird der Schlag hörbar. Für diese „Art Kammeroper“ hat Iris ter Schiphorst letzte Woche den Dresdener Kompositionspreis „Blaue Brücke“ für spartenübergreifende Projekte erhalten. In früheren Werken hat sie den akustischen Raum zerschlagen, nun rekonstruiert sie ihn eher. Versatzstücke von Bekanntem werden wie Anker gesetzt. Das macht die Musik konsumierbarer: Aha, Kaffeehaus! Aha, weinende Geigen! Aha, minimale Wiederkehr des Gleichen! Da das Wiedererkannte jedoch keinen Sinn mehr ergibt, wird klar, daß es um etwas anderes geht. Um Verlust von Kommunikation, Verlust von Kohärenz, Verlust von Sprache. „Warum ein so trauriges Stück?“ wird sie oft gefragt. „Es ist in einem traurigen Jahr entstanden“ ist die Antwort. Waltraud Schwab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen