Nachruf: Zwischen Bewegung und Behörde
■ Christa Nesemann entwickelte unter Rot-Grün feministische Arbeitsmarktpolitik
Am 18. März 1989, wenige Tage nach Christa Nesemanns 35. Geburtstag, schuf die rot-grüne Koalition erstmals eine Senatsverwaltung für Frauen. Eine der neugeschaffenen Stellen trat die reputierte Arbeitsmarktpolitikerin Christa Nesemann an. Bei ihrem Antrittsbesuch glänzten unser beider Augen: Der Feminismus hatte die Amtsschwelle übertreten!
Wie kaum eine andere kannte Christa Nesemann das internationale Netzwerk der Frauenförderung und das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium. Sie wollte ihr Know how nun amtlich umsetzen – in einem arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramm, das gerade zum viertenmal neu aufgelegt wird. Christa Nesemann kam aus der Frauenbewegung. Sie versuchte, beides zu verknüpfen, ihre feministische Überzeugung und ihr Wissen über einen sich rasant wandelnden Arbeitsmarkt.
Sie entwickelte neue Konzepte der Frauenförderung und versuchte, mit ihren Arbeitsprogrammen vor allem besonders benachteiligte Frauen wie Immigrantinnen und ältere Frauen zu erreichen.
Sie förderte Frauenprojekte, jedoch nicht, ohne sie einer konstruktiven Kritik zu unterziehen. Dies brachte ihr im engeren Kreis der Mitarbeiterinnen schnell den Spitznamen Koko ein, der für kompetent und kooperativ stand.
Die Frage, ob Frauen den Marsch durch die Institutionen antreten sollen, beschäftigte sie wie die meisten außerparlamentarischen Feministinnen dieser Zeit. Bei ihrem Antrittsbesuch sagte sie zu mir als damaliger Frauensenatorin: „Wie gehe ich nun mit dir um? Du bist zwar eine von uns (eine Feministin), aber du bist auch die Institution.“
Im Bewußtsein um diese Schwierigkeiten beschritt sie diesen Weg und wurde so zu einer Brücke zwischen Frauenbewegung und den Institutionen. Sie erwarb sich Anerkennung und Vertrauen und wußte beide Fronten in einer Person glaubwürdig zu vertreten. Christa Nesemann starb am 15. November an Krebs. Auf ihre Pionierarbeit haben wir viel aufgebaut, und wir werden es weiter tun. Anne Klein
Die Autorin war Senatorin für Frauen, Jugend und Familie.
Christa Nesemann wird heute auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof II beerdigt
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