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Nachruf auf Regisseur Claus PeymannDer moralische Anstaltsleiter

Er glaubte an die verändernde Kraft des Theaters: Zum Tod des Regisseurs und Intendanten Claus Peymann, der in Wien und Berlin Spuren hinterließ.

Polarisierte bisweilen mit vorschneller Zunge: Claus Peymann (1937–2025) Foto: Giribas Jose/SZ Photo/laif

Die Nachricht von seinem Ableben war Leitthema in den Abendnachrichten des österreichischen Staatssenders ORF und am Morgen danach auf allen Titelseiten der überrgionalen Zeitungen. Claus Peymann leitete das Wiener Burgtheater von 1986 bis 1999 – in der Geschichte des alten kaiserlich-königlichen Hofburgtheaters eine denkbar lange Zeit.

Am Ort der Kunst der Intrige hielt es Direktoren oft nur wenige Jahre auf ihrem Sessel. So wurde auch er von den Siegelbewahrern einer vermeintlichen Tradition zunächst vehement bekämpft, im Haus wie in der Öffentlichkeit.

Künstlerisch bleiben diese ersten Jahre in Wien die interessanteren, mit einem legendenbildenden „Richard III“ (1987) mit Gert Voss; oder „Heldenplatz“ (1988), Thomas Bernhards Jeremiade wider die Geschichtsvergessenheit im damaligen Österreich in Bezug auf den Natio­nal­sozialismus. Zur Premiere kippte der Mob Pferdemist vors Burgtheater, das er doch als Weihestätte nationaler Kultur für sich in Anspruch nahm.

Bereit für jede Fehde

Peymann nahm Fehdehandschuhe, die ihm vor den Füßen lagen, nur zu gerne auf. Skandale, bei denen man nie so recht wusste, wer wen wozu instrumentalisierte, schienen ihm Resonanz zu verschaffen für Botschaften, zu denen er sich als Künstler moralisch verpflichtet fühlte.

All das war gespeist aus der Hoffnung, man könne aus der Sphäre ästhetischer Erfahrung direkten Einfluss auf die Politik nehmen. Donquichotterie war jedenfalls immer dabei. Er kämpfte gegen den schleichenden Bedeutungsverlust, den das Theater in einer sich immer mehr in Subsystemen ausdifferenzierenden Öffentlichkeit erleidet.

Wien wurde ihm zur Zeitmaschine, die das „Rad der Geschichte“ – geflügeltes Wort seiner Uraufführungsinszenierung von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ bei den Salzburger Festspielen (1985) – zurückdreht.

Unerschlossene Gedankenräume

Später öffneten vor allem andere Re­gis­seu­r:in­nen wie George Tabori, Ruth Berghaus und – herausragend Einar Schleef – dem Haus unerschlossene Gedankenräume und Thea­ter­sprachen. Prot­ago­nis­t:in­nen wie Kirsten Dene, Ilse Ritter, Martin Schwab oder Branko Samarovski bedienten die örtliche Verehrung schauspielerischer Exzellenz und setzten ihren Direktor mit durch.

Attraktive Angebote für Studierende und junges Publikum gestalteten den Zugang zum hohen Haus niederschwellig, lange bevor dieser Begriff zum kulturpolitischen Buzzword wurde. Der Lehrersohn aus Bremen erwies sich als überraschend erfolgreicher Theaterpädagoge.

Sein nicht ganz freiwilliger Weggang ans Berliner Ensemble ließ das Wiener Publikum 1999 in Trennungsschmerz zurück. Der steigerte sich mit dem Abstand der Jahre zur heroischen Erzählung, die Peymann zur Inkarnation des Burgtheaterdirektors schlechthin machte. Er polarisierte die Öffentlichkeit mit bisweilen vorschneller Zunge. Seine heute inakzeptablen autoritären Verhaltensweisen sahen ihm viele nach, weil sie den bedingungslos Liebenden des Thea­ters in ihm erkannten.

Kultur und Gesellschaft modernisieren

Nimmt man die Gloriolen der Nachrufe und die Anekdoten der Kantine weg, ist Peymann derjenige, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war in einem Prozess der nachholenden Modernisierung, die zwischen Waldheim-Affäre (1986) und EU-Betritt (1995) die österreichische Gesellschaft erfasste.

Er beeinflusste damit auch die Kulturbetriebe, die hier in besonderem Maß als Sinnstiftungsorgane einer fragilen nationalen Identität betrachtet werden. Sozialdemokratische Kul­tur­po­li­ti­ke­r:in­nen mit Vision haben ihn berufen. Sozialdemokraten, die bei Visionen zum Arzt gehen, haben ihn ziehen lassen.

Am Berliner Ensemble (1999–2017) schienen ihm Brechts Stiefel nicht wirklich zu passen. Auch die Konfiguration von Öffentlichkeit schien ihn anders als an seinen früheren Statio­nen nicht wirklich zu beflügeln. Doch es gibt ein Leben vor dem Burgtheater. Mit der Uraufführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ (1966) wurde Peymann zum household name.

An die Kapazitätsgrenzen treiben

Seit „Ein Fest für Boris“ (1970) verband ihn eine über Jahrzehnte den deutschsprachigen Theaterbetrieb prägende Symbiose mit Thomas Bernhard. Das Verhältnis zur österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek war nicht so friktionsfrei, wie jetzt in den Nachrufen behauptet wird. Doch er ließ zu, dass Einar Schleefs epochale Inszenierung von „Ein Sportstück“ (1998) die Burg als größten kontinentaleuropäischen Theaterbetrieb an seine Kapazitätsgrenzen trieb.

Claus Peymann gehörte in den 1970er und frühen 1980er Jahren mit Stationen in Stuttgart, wo ihm für eine mitmenschliche Geste für die inhaftierte Gudrun Ensslin der blanke Hass der Autoritären entgegenschlug, und Bochum zu einer Generation von Regisseuren, deren Politisierung das Theater für ein Jahrzehnt noch mal zu einem spannenden Ort einer imaginierten Agora machen sollte. Er war der Buchgläubige unter ihnen und rechnete fest darauf, dass der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) mit kleinen gelben Taschenbüchern beginnt.

Am Mittwoch ist Claus Peymann im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.

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1 Kommentar

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  • Ich kannte Claus Peymann noch aus der Zeit, als er in Stuttgart Intendant war. Er hat zugegebenermaßen enorm polarisiert, insbesondere in der Phase des Deutschen Herbstes 1977. Trotzdem hat er dieser Stadt sehr viel gegeben. Dies gilt es zu würdigen. Auch wenn man in dem Alter immer mit dem Tod rechnen muss, bedaure ich es dennoch, dass er nicht mehr unter uns weilt.