Nachruf auf Phil Spector: Revolutionär und Soziopath
In den 1960er Jahren schuf Phil Spector Hits, dann erschoss er die Schauspielerin Lana Clarkson. Nun ist Spector mit 81 Jahren im Gefängnis gestorben.
Es endete mit einer lakonischen Nachricht in den Tickerstreams der angloamerikanischen TV-Syndikate. „Pop-Produzent Phil Spector 81-jährig im Gefängnis gestorben“. 2003 hatte Spector die US-Schauspielerin Lana Clarkson mit einem Revolverschuss in den Mund getötet. Seit 2009 saß er deshalb in einem kalifornischen Gefängnis. Die Berufung des Falls war 2011 abgelehnt worden.
„To know him is to love him“ von den Teddybears hieß Spectors 1958 erster Nummer-Eins-Hit. Den Songtitel hatte der in der New Yorker Bronx geborene Spector von der Grabinschrift seines Vaters entliehen. Er war gestorben, als Phil Spector neun Jahre alt war. Seine Mutter zog mit ihm nach Kalifornien. Zunächste spielte er Gitarre in einer Jazzcombo. „To know him is to love him“ hatte Spector als 17-Jähriger komponiert.
Ihm schwebte nichts weniger vor als den Pop-Olymp in Klang zu übersetzen. In seiner Vorstellung war es eine mit Streicher-Arrangements und mehreren Schichten von Hintergrundgesang, Percussion und Schlagzeug behaglich ausgepolsterte musikalische Wolke. Sie wurde zu seinem Markenzeichen, nach weiteren Hits aus Spectors Feder taufte man die Klangsignatur in „Wall of Sound“ um: „You’ve lost that lovin' feeling“, „Spanish Harlem“, „River Deep Mountain High“. Spector produzierte und komponierte nicht nur Hits, er schob auch Künstler:innenkarrieren an, wie die von Ike & Tina Turner.
Bevor Spector als Produzent von seriellen, zweieinhalbminütigen Teen-Dramen reüssierte, die in Autoradios und an den Transistorradios Ekstase hervorriefen, regelten ältere Herren mit Stirnglatze, Anzug und Schlips das Popbiz. Diese Welt sei „langsam, schlaff und hoffnungslos, ein industrieller Witz“, schrieb der britische Autor Nik Cohn. Die Manager verschwanden auch nicht über Nacht, als der blasse Jüngling mit den schuppigen Haaren, der Hose aus Samt und der talgigen Gesichtshaut das Zepter übernahm; erst arbeitete Spector für Atlantic Records als Talentscout und dann gründete er sein eigenes Label Philles Records. Ältere Herren galten fortan als uncool.
„Zigarrekauende Fettsäcke“
Pop bekam in Phil Spector einen neuartigen Teen-Tycoon, der schon 1962 aufgrund der vielen Hits zum Millionär wurde. Er legte sich einen Rolls-Royce samt Chauffeur zu und eine schicke Villa in Hollywood. Leibwächter mussten her: Spector galt Mitte der 1960er als Soziopath, der Angst vor Menschenmengen hatte. Beständig glaubte er, übers Ohr gehauen zu werden, „zigarrekauende Fettsäcke“ (Cohn) hätten es auf ihn abgesehen. Eine Weile verschwand er von der Bildfläche. 1968 heiratete er die Sängerin Ronnie Bennett, doch die Ehe wurde nach wenigen Jahren wegen häuslicher Gewalt geschieden.
Pop wurde auch ohne Spectors Zutun erwachsen. Die damals junge, hippieske Künstlergeneration brachte eigene Vorstellungen in die Aufnahmestudios mit, die sich nicht mehr mit dem Absolutheitsanspruch eines Phil Spector vertrugen. 1969 produzierte er auf Betreiben von John Lennon und George Harrison den Beatles-Schwanengesang „Let it Be“. Es kam zu heftigen Reibereien im Studio. Schon damals hatte Spector eine geladene Waffe am Mischpult liegen, man tat es als Spinnerei ab. In der Folge kam es immer öfter zu erratischen Situationen.
1980 produzierte Spector für die Ramones das Album „End of the Century“, ein letztes Mal machte seine Wall of Sound Sinn, denn die Ramones spitzten in ihren Punksongs die fantastische Teenager-Klangwelt der frühen 1960er zu betonhartem Bubblegumsound zu. Wieder fuchtelte er mit der Knarre im Studio rum, bedrohte gar die Musiker. Das würde böse enden, dachten die Ramones. Am Samstag ist Spector an den Folgen einer Covid-Erkrankung hinter Gittern gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei