Nachruf auf Klaus Eschen: Ein Widerständiger
Klaus Eschen gründete 1969 das Sozialistische Anwaltskollektiv mit. Jetzt ist der Anwalt, Notar und Verfassungsrichter im Alter von 85 Jahren gestorben.
Es war 2022, als Eschen in einem Nachruf auf seinen verstorbenen Weggefährten Ströbele ein spätes persönliches Geständnis abgelegt hatte: Eigentlich habe er gar nicht vorgehabt, als Anwalt zu arbeiten. Nur pro forma habe er sein Anwaltsschild seinerzeit bei Mahler mit aufgehängt. „Ich arbeitete damals als Fotograf.“ Im Büro von Mahler, der inzwischen zum Neonazi und Holocaustleugner mutiert ist, konzentrierte sich seinerzeit die juristische Aufarbeitung der Studentenproteste. Als Reaktion auf das Attentat auf Rudi Dutschke hatten diese 1968 zu den Osterunruhen geführt.
Hunderte von Verfahren gegen Studenten und Demonstranten standen an. Auch die Polizeiübergriffe wurden in dem Büro dokumentiert. Mahler habe ihn schließlich gebeten, ihn bei dieser „enormen Arbeit“ zu unterstützen, erzählte Eschen. „Und ich bemerkte, dass ich meine ursprüngliche Aversion gegen die noch immer schwarz-braun getönte Justiz in Westberlin, die mich hatte von ihr abtrünnig werden lassen, nun in eine professionelle Gegnerschaft einbringen konnte.“
Das Sozialistische Anwaltskollektiv prägte ein vollkommen neues Berufsverständnis. Das der Konfliktverteidigung. Ein Anwalt, der sich für seinen Mandanten einsetzt, muss in den Konflikt mit Staatsanwaltschaft und Gerichten gehen. Heute mag das wie eine Selbstverständlichkeit klingen, damals war es das nicht. „Die Richter sahen das damals als feindlichen Akt, weil wir die übliche Harmonie zwischen Anwälten und Gerichten störten“, so Eschen.
Dann kam der Deutsche Herbst
Das Kollektiv vergrößerte sich bald. Als Horst Mahler nach der Gründung der RAF in den Untergrund ging, verlagerte sich die Arbeit des Kollektivs zunehmend in die Verteidigung von Angehörigen der RAF und der Bewegung 2. Juni. Ihre Verteidiger gerieten zunehmend unter politischen Druck, der darin gipfelte, sie zum Teil als Komplizen zu kriminalisieren.
Dann kam der Deutsche Herbst. „In vollständiger Harmonie – ungewöhnlich für Juristen – beschlossen wir 1979, das Kollektiv aufzulösen“, so Eschen. Das Sozialistische Anwaltskollektiv, so viel kann man sagen, war die Keimzelle der nachfolgenden linken Anwaltsgenerationen. Nach dessen Auflösung war Eschen weiter als Rechtsanwalt und später auch als Notar, auch in Brandenburg, tätig. 1982 trat er in die SPD ein, war Gründungsmitglied des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) und bis 1991 dessen Vorsitzender.
Bei den rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin werkelt er im Hintergrund mit, acht Jahre lang, bis 2000 bekleidete er das Amt eines Richters am Berliner Verfassungsgerichtshof. Auch in dieser Eigenschaft war er stets für einen scharfzüngigen Kommentar zu haben. Als Eschens Amtszeit als Verfassungsrichter auslief und CDU und SPD der Linkspartei, damals noch PDS, keinen Sitz am Landesverfassungsgerichtshof zugestehen wollte, verurteilt er auch das scharf. Die PDS auszugrenzen würde bedeuten, das Wählervotum in Stimmen der ersten und zweiten Klasse zu unterteilen.
Aus der SPD trat Eschen 2002 mit einem Knall aus. Er und vier andere Mitglieder hatten zuvor in einem offenen Brief zur Wahl grünen Direktkandidaten Christian Ströbele in Kreuzberg aufgerufen – statt zur Wahl des dortigen SPD-Kandidaten. Die Parteispitze drohte mit Sanktionen bis hin zum Parteiausschluss. „In so einer piefigen, kleinkarierten Partei habe ich nichts mehr zu suchen“, erklärte Eschen.
Der Vater war Fotojournalist
Im Alter von 70 Jahren gab er seine Anwaltszulassung zurück und widmete sich wieder verstärkt der Fotografie. Er kehrte damit auch zu seinen Wurzeln zurück. Sein Vater Fritz Eschen, ein Jude, war in Berlin ein bekannter Fotojournalist. Dank seiner Frau Gertrude „Lipsy“ Thumm, gebürtige Amerikanerin, hatte er die Nazizeit überlebt. Lipsy Eschen-Tumm gehörte zu den Frauen, die 1943 in der Rosenstraße gegen die Inhaftierung ihrer jüdischen Männer demonstrierten. Klaus Eschens Bruder und Halbbruder überlebten die Nazizeit nicht.
2011 widmete Eschen seinem Vater eine Ausstellung mit einer Auswahl von Nachkriegsfotografien mit dem Titel „Berlin unter dem Notdach“. Im Gespräch mit der taz gewährte der sonst so beherrscht auftretende Jurist Einblick in seine Gefühle. Als einziges überlebendes Kind sei er sehr behütet aufgewachsen. „Ich durfte auch nicht Rad fahren.“ Der Vater habe das nicht ausgehalten. „Das war seine Traumatisierung, die sich auf mein Leben ausgewirkt hat.“ Deshalb habe er auch nicht zum Studium ins Ausland gehen können.
Auf die Frage, ob er glaube, dass sein Vater stolz auf ihn gewesen wäre, holte Eschen ein bisschen aus: Der Onkel habe dem Vater gesteckt, „dass ich in dem Frankfurter Kaufhausbrandprozess 1968 ohne Robe auftrat und deshalb ein Verfahren kriegen sollte“. In einem empörten Brief habe ihn der Vater aufgefordert, das sofort in Ordnung zu bringen, das sei eine Schande. Aber eigentlich, so Eschen, glaube er, dass der Vater verstanden habe, was er gemacht habe. „Weil er im Grunde auch ein Widerständiger, ein Außenseiter war.“
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