Nachruf auf Herman Wallace: Sieg über die Justiz kurz vor dem Tod
41 Jahre saß Black Panther Herman Wallace in Isolationshaft – für einen Mord, den er wohl nie begangen hat. Kaum entlassen, starb er.
WASHINGTON taz | Herman Wallace’ Leben in Freiheit währte drei Tage. Nach 41 Jahren in Isolationshaft in einer zwei mal drei Meter großen Zelle in Louisiana war das kurz. Aber für den ehemaligen Black-Panther-Aktivisten – einer der „Angola 3“ –, der nie die Hoffnung verloren hatte, seine Unschuld an der Ermordung eines Gefängniswärters zu beweisen, war es der Erfolg, für den er jahrzehntelang gekämpft hat.
In den kurzen Momenten, die er in seinen letzten Stunden bei Bewusstsein war, hat der 71-Jährige gesagt: „Ich bin frei.“ Am Freitag ist er im Haus eines Freundes in New Orleans gestorben. Er hatte Leberkrebs.
Am Dienstag vor seinem Tod hat Richter Brian Jackson in Louisiana die Anklageerhebung gegen Herman Wallace für verfassungswidrig erklärt und seine sofortige Freilassung angeordnet. Er begründete seine Entscheidung damit, dass in der Jury, die Herman Wallace angeklagte hatte, keine Frau zugelassen war. In einem letzten Versuch, seinen Gefangenen hinter Gittern sterben zu lassen, ging der Gefängnisdirektor abendessen und ließ mitteilen, dass er erst am nächsten Tag zurückkommen werde.
Doch Richter Jackson bestand auf sofortiger Umsetzung seiner Anordnung. Am selben Abend holte ein Krankenwagen den Sterbenden im Gefängnis ab. Rund 100 UnterstützerInnen empfingen den alten Mann mit Transparenten, auf denen stand: „Welcome Home Herman“.
Niemand in den USA hat länger in Isolationshaft gesessen als Herman Wallace. Er war, zusammen mit zwei anderen schwarzen Gefängnisaktivisten, wegen der Ermordung des weißen Gefängniswärters Brent Miller 1972 verurteilt worden. Der einzige blutige Fingerabdruck, der am Ort der Messerstecherei gefunden wurde, gehörte keinem der drei Verurteilten. Hauptbelastungszeuge war ein vielfach verurteilter Vergewaltiger mit umstrittener Glaubwürdigkeit.
Petition mit 200.000 Unterschriften
Zur Zeit des Mordes saßen Herman Wallace und Albert Woodfox wegen bewaffneten Raubüberfalls in dem berüchtigten „Angola“-Gefängnis. Die beiden zu 50 Jahren verurteilten Männer waren im Gefängnis zu Black-Panther-Aktivisten geworden. Unter anderem organisierten sie Proteste gegen die brutalen Arbeitsbedingungen der Gefangenen, die bis zu 18 Stunden am Tag auf Plantagen arbeiten mussten. Bevor „Angola“ ein Gefängnis wurde, wurde es mit Sklavenarbeit bewirtschaftet.
Herman Wallace hat Generationen von BürgerrechtsaktivistInnen inspiriert. Mehr als 200.000 Menschen haben eine Petition von Amnesty International für seine Freilassung unterzeichnet. Trotz der 41 Jahre in dem „Käfig“, aus dem er nur eine Stunde am Tag herausdurfte, blieb er bis zum Schluss kämpferisch.
In einem Film der Künstlerin Jackie Sumell („Herman’s House“) beschrieb er am Telefon das Haus, in dem er leben will. Es ist umgeben von tanzenden Menschen. Auf der Straße halten „Brüder“ die geballte Faust hoch. In einem Dokumentarfilm sagt die Witwe des ermordeten Wärters, dass sie nicht an die Schuld der „Angola 3“ glaubt.
Robert King ist der einzige von „Angola 3“ als unschuldig entlassen worden. Am Tag des Mordes war er nicht einmal in dem „Angola“-Gefängnis. Dennoch musste er 29 Jahre in Isolationshaft verbringen. Seit seiner Freilassung 2001 tourt King durch die Welt, um über seine Haftbedingungen zu sprechen. Der dritte „Angola“-Mann, Albert Woodfox, sitzt weiterhin in Isolationshaft. Er hofft auf einen neuen Prozess.
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