Nachruf auf Hans Belting: Die Bilder und wir
Er erforschte das Religiöse in Bildern und das Archaische in modernen Medien. Der Kunst- und Bildwissenschaftler Hans Belting ist gestorben.
Wie sehr Bilder uns prägen, ohne dass wir es wollen oder wissen, haben wir in unserer medial gefluteten Welt schon vergessen. Warum stehen auf unseren öffentlichen Orten so viele Bildflächen wie einst bei den Griechen Götterbilder?
Weil wir selbst innerlich ständig Bilder produzieren, denn unsere Vorstellungen und Träume erfolgen in Bildern. Wir wissen, dass Denkbilder mehr sind als Worte. Mit Bildern malen wir unsere Zukunft aus, mit ihrer Hilfe versuchen wird, die Vergangenheit zu verarbeiten. Mit ihnen halten wir auch das Schreckliche auf Distanz. Zugleich aber können sie nur Schein sein, oft auch Ideologie und Propaganda.
Hans Belting, einer der Großen in der Kunstwissenschaft, hat dies gesagt. Er, der in der Nacht zum vergangenen Dienstag gestorben ist, war aber vielmehr ein Bildwissenschaftler, wenngleich er auch in seiner angestammten Disziplin Erstaunliches leistete. Er erforschte, wie das europäische Porträt auf den Kult des antiken Herrschers und den Christi zurückgeht, aber ebenso auf die Bildnisse der toten Ahnen.
Allem Modernen und Technischem immer aufgeschlossen, war Belting gleichzeitig tief dem verpflichtet, was er das „Bild vor dem Zeitalter der Kunst“ genannt hat, so der Untertitel seines Hauptwerks „Bild und Kult“ von 1990. Dieses Bild zeige nicht die möglichst virtuose Darstellung des Wirklichen und sei kein Fenster in der Wand, sondern ein solches in der Welt als die perfekte Darstellung des Überwirklichen, weil Göttlichen.
Ikone und Avantgarde
Inbegriff dieses Bilds ist bis heute die Ikone des östlichen Christentums. Dass sie ironischerweise in der Avantgarde der westlichen Kunst um 1900 wieder auftauchte, griff Belting ebenso auf, wie er immer darauf verwies, dass gerade in den neuen Medien viel Älteres, ja Archaisches steckt.
Martin Treml ist Religionswissenschaftler, forschte am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) und ist derzeit DAAD-Professor an der Staatlichen Ilia-Universität in Tbilissi.
Er lehrte in Hamburg, Heidelberg, München, bevor er 1992 und über seine Emeritierung ein Jahrzehnt später hinaus den geeigneten Ort seiner weit ausgespannten Forschungen an der Hochschule für Gestaltung und dem Zentrum für Kunst und Medien, dem ZKM, in Karlsruhe fand. Hier öffnete Hans Belting die Kunstwissenschaft für die Kulturwissenschaft, lehrte sie ebenso wie Medientheorie gleichermaßen für Künstler:innen und Wissenschaftler:innen.
In Karlsruhe befand er sich schließlich in einem Spannungsfeld mit zwei Peter den Großen, dem Künstler Peter Weibel und dem Philosophen Peter Sloterdijk, was so an- wie aufregend war. Mit seiner Frau Andrea Buddensieg arbeitete er zu einer globalen Perspektive auf die Kunsttheorie und Ausstellungspraxis.
Wirkungen in Kopf und Körper
In Karlsruhe entstand auch seine 2001 veröffentlichte „Bild-Anthropologie“, in der er den Wirkungen der Kunst in Körper und Kopf, in Mensch und Medien auf die Spur kommt. Sie ist Zeitdiagnose wie Versuch über die Macht der Bilder seit je. An diesem wissenschaftlichen Unternehmen hat er dann in seinen letzten Berliner Jahren weitergearbeitet.
Als Belting 2015 den Balzan-Preis erhielt (so etwas wie der Nobelpreis für Geisteswissenschaften), investierte er ihn in ein Vorhaben, das er „Ikonische Präsenz. Die Evidenz von Bildern in den Religionen“ nannte, angesiedelt an drei Institutionen: der Freien Universität sowie dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin und der Universität im tschechischen Brünn.
Es ging ihm um die Personen aus verschiedenen Ländern, die dort arbeiteten. Mit ihnen kombinierte er die Ansätze mehrerer Wissenschaften, sie alle griffen dabei auch die Bildgeschichten der Religionen in ihren Regionen auf, die der französischen Pilgerkirchen, der venezianischen Malerei, der spanischen Sakramentspiele. Das lässt sich ganz ohne Glauben tun. Denn nur was gesehen werden kann, ist wirklich da. Man muss aber hinsehen wollen, und das ist es, wozu Belting immer anregte.
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