piwik no script img

Nachruf auf F.C. GundlachHabicht mit Posen

Besonders in seiner Mischung von Menschlichkeit und Forschheit: Zum Tod von F.C. Gundlach, dem Hamburger Universalisten der Fotografie.

2016: F.C. Gundlach in einer Ausstellung seiner Modefotografie-Sammlung in den Deichtorhallen Foto: Daniel Reinhardt

Er hatte die Angewohnheit, die Nase zu rümpfen, als wollte er die Brille in ihre Position schieben, und das verband sich mit dem Anflug eines Grinsens. Sein unbeirrbarer Blick, der Schnauzbart, diese gewisse Nervosität – im Bestiarium der fotografischen Berühmtheiten wäre er als Falke porträtiert worden. Oder als Habicht.

Franz Christian Gundlach war ein Mann von ungewöhnlicher Willenskraft und Beharrlichkeit. Man wunderte sich einst sehr, warum er sein Lebenswerk, das Haus der Photographie in Hamburg, mit einer CDU- und rechtspopulistisch geführten Stadtregierung einfädelte. Tatsächlich aber waren die Pläne jahrelang mit Christina Weiss geschmiedet worden, in einem SPD-geführten Senat.

Er hat vieles erfunden, zuallererst aber sich selbst, F.C., den weltreisenden Gentleman, der Jean Marais auf seinem Hausboot porträtierte oder dem staunenden deutschen Nachkriegspublikum Oscar Niemeyers Villa oberhalb von Rio de Janeiro aus der Nähe zeigte. Es gab Reportagen aus Hongkong und über Angkor Wat.

Für Film und Frau, eine raffinierte Hamburger Zeitschrift des Luxus und der Moden, war er ein Wunderknabe und Tausendsassa, das Wirtschaftswunder in Person. Er wurde aber dann nicht Reporter beim Stern, sondern Modefotograf mit einem großen Vertrag bei der Brigitte.

Ein Auge für Stoffe, Pelze, Schuhe, Schmuck

Die Mode musste, Ende der fünfziger Jahre, heraus aus dem Atelier. Der junge Gundlach hatte ein Auge für Stoffe, Pelze, Schuhe, Schmuck, für optimistische Modelle (heute: Models), die er vor dem Reichsbahnhotel in Stuttgart warten ließ, die kokett durch das olle St. Pauli flanierten oder auf der Avus als Rennfahrerinnen posierten. Noch Jahrzehnte später verwies er amüsiert auf den „Ausfallschritt“ – die gefrorene Pose mit gestrecktem Bein –, ein Muster, das er langsam versuchte aufzulösen: Schaulaufen in Paris; Luftsprünge in Nairobi.

F.C. mit vierzig Jahren lief zu großer Form auf mit den hypergrafischen, Op-Art-inspirierten Moden um 1966/67, experimentierend zugleich mit steilen Kontrasten im Schwarzweiß und zartesten Schattierungen in der Farbe. Um Frühjahrskollektionen zu fotografieren, flog man im Winter nach Marokko, nach Ägypten, später sogar bis Kapstadt.

Schon in den fünfziger Jahren hatte F.C. Gundlach mit der Lufthansa einen abenteuerlichen Tauschvertrag geschlossen, PR-Fotos gegen Meilen, so dass er ohne Nachzudenken um die Welt reisen konnte. Aufgewachsen war er als „Christl“ in einer größeren Pension zwischen Kassel und Bebra, die die Eltern betrieben.

Als ältester Sohn sollte er den Betrieb übernehmen, aber Gastwirt im Zonenrandgebiet zu sein, sah er nicht als seine Bestimmung nach dem Krieg. Lieber lernte er „moderne Lichtbildkunst“ bei Rolf W. Nehrdich in Kassel und wohnte seit 1956 in Hamburg, dessen Bild als Stadt der Medien er selbst mit prägen sollte.

Der Unternehmer F.C. Gundlach

1979, ein heller Junitag. F.C. läuft rückwärts unter Bäumen, das Tele der Leica gerichtet auf zwei Ladys, die im Abstand von einigen Metern auf ihn zu marschieren, während Gehilfen vom Gehwegrand her versuchen, mit Reflektoren nachzuhelfen – einer davon bin ich. Mit Anfang fünfzig fotografierte Gundlach Titelbilder nur noch aus Routine, während er seit einem Jahrzehnt ein großes Unternehmen führte.

Gestartet als Creative Color GmbH, kam dann der Photo Professional Service (PPS.) dazu, mit dem er sich über mehrere Etagen im Bunker auf dem Heiligengeistfeld, Feldstraße 66, einquartiert hatte: eine kuriose Standortwahl, wenn man bedenkt, dass Nazideutschland den jungen Hessen in einem irrsinnigen „letzten“ Kriegseinsatz beinahe in den Tod geschickt hatte. Als Personenfahrstuhl des Hauses klapperte damals noch ein Paternoster.

Was F.C. nach amerikanischem Vorbild geschaffen hatte, war ein Unternehmen für Fotografen, das – nach damaliger Technik – alles einschloss: Verkauf und Verleih von Kameras und Studioequipment; Diaentwicklung in allen Formaten innerhalb von zwei Stunden; Ateliervermietung; Retuschen. Zuletzt dazugekommen war ein „Bookshop“ und 1975 die Galerie.

Gerade half ich, die Nacktbilder junger, schwarzer Tänzer eines Fotografen namens Wolfgang von Wangenheim zu hängen. Gundlach: „Ich finde das sehr gut, aber zu arschfixiert.“ Da war ich dann doch überrascht. Der Mann war der Jahrgang meines Vaters!

Aus Notwendigkeit und Pflicht wurde er Sammler

Gundlach zeichnete den Weg in die Professionalität vor und die anderen folgten. Im Bunker mietete sich die Fotografenprominenz ein. Neben Hamburg gab es auch eine Dependance in Düsseldorf, nach der Wende einen „PPS.“ in Berlin, und bis zuletzt war er in Berlin bei „Pixelgrain“ beteiligt. Mit seiner künstlerischen Sendung aber tat sich Hamburg schwer: Die Hochöfen und Gasbehälter eines Fotografenpaares namens Becher, zum Beispiel, war das relevant?

Die Rockerfotos von Irving Penn – schon besser. Gundlach, der „die Fotografie“ in Hamburg groß gemacht hatte, wenn nicht riesig, arbeitete nun an einem Begriff von ihr. Erst einmal für sich selbst. Da waren es noch dreißig Jahre bis zur Gründung eines „Hauses der Photographie“ in der kleineren der beiden Deichtorhallen. Fotografie im Umfeld von Kunst blieb ein langwieriges Unternehmen, und sein riskantestes. Aus Notwendigkeit wurde er Sammler. Er engagierte sich früh für Wolfgang Tillmans und nahm Andreas Mühe unter seine Fittiche, als dieser noch ein Fotolaborant war.

Ahnend, dass sein Beitrag zur Sozialgeschichte der Bundesrepublik – als Chronist ihrer Posen, Moden und Locations – möglicherweise verloren gehen konnte, machte sich Gundlach an seine eigene Historisierung. Zunächst verlegte er „Modewelten“, ein Buch, das die retrospektive Bonner Ausstellung von Klaus Honnef 1986 begleitete. Eine Honorar-Professur an der Hochschule der Künste (heute UdK) in Berlin brachte ihm neue Kontakte: „En Vogue, Berliner Mode in der Photographie“ (1993) im Martin-Gropius-Bau (in der taz besprochen von Katharina Rutschky) ließ das 20. Jahrhundert Revue passieren.

Gundlach dabei als Herausgeber, eine Rolle, die bis zur Peter-Keetman-Retrospektive in Essen (2016) reichte und bisweilen die Leistungen anderer überschattete. 2008 wurde sein eigenes Werk von jüngeren Autoren systematisiert, in einem 416-seitigen Band bei Steidl, „F.C. Gundlach – Das fotografische Werk“.

Sein Haus der Photographie in den Deichtorhallen

Als vermögender Mann ohne Erben machte sich F.C. Gedanken über die Zukunft seiner Nachwelt. Einen großen Teil seiner Sammlung, die er dem „Bild des Menschen“ gewidmet hatte, gab er dem „Haus“ bei seiner Gründung als Leihgabe mit – aber nur auf zwanzig Jahre. In seinem Townhouse in der Parkallee 33 installierte er unterdessen eine Stiftung, deren täglicher Betrieb den inzwischen 90-Jährigen gut in Trab halten sollte, während er noch über den Sinn des Ganzen grübelte.

Auf dem Ohlsdorfer Friedhof ließ er sich von dem Architekten Roland Poppensieker einen Betonkubus errichten, ein Mausoleum ohne Namen, dessen Bildrelief auf der Südseite ein berühmtes Modefoto zitiert: Karin Mossberg und Micky Zenati in Badekappen vor den Pyramiden von Gizeh 1966.

F.C. Gundlach war besonders in seiner Mischung von Menschlichkeit und Forschheit. Mal biss er sich am Detail fest, dann zählte wiederum nur der große Überblick. Der lag in der letzten Dekade in der Binnenschau, denn die Sehfähigkeit, ausgerechnet, hatte sehr nachgelassen.

Dafür blieb ihm aber sein Gehör, und in der Tat war er ein Mann des Gesprächs, des Dialogs, ein Rhetor auf der Suche nach der unschlagbaren Formel. Mitten in der „Flüchtlingskrise“ des Sommers 2015 bekannte er: „Wir haben doch damals zwanzig Millionen Flüchtlinge aufgenommen – wo soll denn jetzt das Problem sein?“ Als Folge globaler Aggression bedauerte er am meisten den Verlust der Leichtigkeit des Reisens.

F.C. Gundlach war weder progressiv noch reaktionär, sondern ein moderner Epikuräer, der bildliche Suggestion als Spiel betrieb und auch als solches verstand. Fotografie war für ihn Antrieb und Stil; schließlich eine Lebensform und komplette Agenda. Er war vielleicht nicht immer froh und bis zu einem gewissen Grad sogar einsam. Aber es war ein geglücktes Leben. F.C. Gundlach starb mit 95 Jahren am 21. Juli 2021 in Hamburg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!