Nachruf auf Bruno Ganz: Der schweizerische Freund
Er hatte bis zuletzt eine Größe der entrückten Art: der am Samstag gestorbene Schauspieler Bruno Ganz aus „Der Himmel über Berlin“ und „Der Untergang“.
Am Anfang war die Stimme. Die sagte: „Als das Kind Kind war, …“, in diesem seltsam weich rollenden, zugleich abgeklärten Singsang. Leicht und schwer in einem, klang diese Stimme wie die eines alten Manns, die da immer wieder zwischendurch auf der Platte mit der Filmmusik von Wim Wenders' „Der Himmel über Berlin“ von 1987 sprach. Fast überraschend war es, wenig später den Mann auf der Leinwand zu sehen, zu dem diese Stimme gehörte. Bruno Ganz, der in Wenders‘ damals unwissentlichem Abgesang auf das geteilte Berlin den Engel Daniel spielt und aus dem Off regelmäßig Peter Handkes „Lied vom Kindsein“ rezitiert, war da gerade mal 46 Jahre alt.
Schauspieler war der 1941 in Zürich geborene Sohn eines Schweizer Fabrikarbeiters und einer italienischen Mutter aber schon seit fast drei Jahrzehnten. Seine erste Filmrolle hatte er 1960 in der Krimikomödie „Der Herr mit der schwarzen Melone“ seines Landmanns Karl Suter übernommen. Gleichzeitig lernte er am Zürcher Bühnenstudio.
Bevor er mit seiner internationalen Filmkarriere als Schauspieler sich unter anderem in der Rolle des Adolf Hitler in Oliver Hirschbiegels Führerbunkerdrama „Der Untergang“ von 2004 ins öffentliche Gedächtnis einbrannte, machte er sich zunächst als Theaterschauspieler einen Namen. Nach Stationen in Göttingen, Bremen und am Zürcher Schauspielhaus kam Bruno Ganz 1970 zum Ensemble der Berliner Schaubühne. Ab dieser Zeit arbeitete er mit Regisseuren wie Peter Zadek, Peter Stein, Claus Peymann oder Luc Bondy zusammen. Die Liste seiner Ehrungen und Preise, die er für seinen Bühnenspiel erhielt, ist fast so lang wie die seiner Spielfilmrollen.
Erste internationale Bekanntheit erlangte er dann durch seinen Part in „Der amerikanische Freund“, seiner ersten Zusammenarbeit mit Wim Wenders 1977. An der Seite von Dennis Hopper spielte Ganz den Hamburger Rahmenmacher Jonathan Zimmermann. Ein stiller, in sich gekehrter Typ, in dessen undurchdringlichem Blick sich Freundlichkeit, Skepsis und Traurigkeit unlösbar mischten – sich dann aber im nächsten Augenblick unversehens zu einem Ausdruck kindlich-unschuldiger Begeisterung wandeln konnten. Wie Ganz überhaupt eine Impulsivität hatte, die stets hinter seiner gesammelten Erscheinung zu schlummern schien.
Schrullige Herzlichkeit
Bruno Ganz' Blick hatte auf der Leinwand gern etwas Distanziert-Abgeklärtes. Man konnte viel Freundlichkeit darin sehen, wie er überhaupt vielen seiner Figuren eine schrullige Herzlichkeit verleihen konnte, so auch bei seiner Erfolgsrolle als eloquenter Kellner Fernando Girasole in Silvio Soldinis „Brot und Tulpen“ (2000). Oder er blickte zugewandt-furchtsam, etwa in Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979) als Jonathan Harker, der beim Titelhelden zunächst lediglich zu Gast ist, zum Schluss aber dessen würdige Nachfolge antritt mit den fast geflüsterten Worten „Und bringt mir mein Pferd“, nachdem er selbst zur blass-bedrohlichen, diskret kontrollierten untoten Erscheinung geworden ist.
In späteren Jahren überzeugte Ganz immer wieder in Rollen als Autoritätsperson. Sei es als der distinguierte, in seiner überlegten Klugheit umso unheimlichere „Rasterfahndungs“-BKA-Präsident Horst Herold in Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“ (2008) oder, in einer seiner letzten Rollen, in Matti Geschonnecks Romanverfilmung „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (2017) nach Eugen Ruge. Hier gab Ganz den überzeugt-geradlinigen DDR-Funktionär Wilhelm Powileit mit brüchiger Verbohrtheit, als einer, den das auf Anpassung optimierte System innerlich ausgehöhlt hat.
Auch am Ende war wieder die Stimme. Sie sagte häufig „Jack“, mit leichtem Spott und dem für Bruno Ganz typischen staunend-zurückgelehnten Tonfall. Das war in Lars von Triers „The House That Jack Built“ von 2018, wo er in der Rolle des „Verge“ neben Matt Dillon als dem serienmordenden Titelhelden spielt und über die längste Strecke des Films ausschließlich aus dem Off zu hören ist.
Erst im Finale des Films durchquert das ungleiche Paar eine Dantesche Hölle, Bruno Ganz dabei gelassen wie jemand, den auch die infernalischen Abgründe nicht mehr schrecken können. Am Samstag ist Bruno Ganz, dessen Krankheit im vergangenen Sommer bekannt geworden war, im Alter von 77 Jahren in seinem Haus in Zürich gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs