Nachruf Gründer der Gang of Four: Andy Gill ist tot
Der britische Punkrock-Pionier und Gründer der Band Gang of Four, Andy Gill, ist am Samstag an einer Erkrankung der Atemwege gestorben.
Wenn eine ARD-Infowelle am Sonntagmorgen den Tod von Andy Gill vermeldet, dann ist die Nachrichtenlage mau. Um dem „Andy wer?“-Reflex bei den Hörer*innen vorzubeugen, wird die Nachricht mit einem bekannten Namen garniert. Dieser Andy Gill habe auch mal mit den Red Hot Chili Peppers gearbeitet. Aha. Das ist für Gills Bedeutung so relevant wie Destiny’s Childs Aufnahme von „8 Days of Christmas“ für die Karriere von Beyoncé.
Andy Gill ist Anfang zwanzig, als er 1976 mit drei Freunden in der „Working Class & Art School“-Hochburg Leeds eine Band gründet und ihr den Namen Gang of Four gibt. Dass die sogenannte Viererbande um Maos Witwe Jiang Qing in der Geschichtsschreibung der chinesischen KP zum Sündenbock für die Exzesse der Kulturrevolution gemacht wird, ist nur einer von vielen Treppenwitzen in der Geschichte dieser Ausnahmeband.
Der größte: das groteske Missverhältnis zwischen kommerziellem (Miss-)Erfolg zu Lebzeiten und Breitenwirkung wie Langzeiteinfluss nach der Auflösung 1984. Für „Entertainment“, ihr Debütalbum von 1979, gilt, was gern über die Bananenplatte von Velvet Underground gesagt wird: Sie wurde nur von ein paar Tausend Leuten gekauft, aber jede(r) von denen hat eine Band gegründet. Die Liste der Epigonen, die populärer werden sollten als das Vorbild, ist lang.
Keine Band der britischen Postpunk-Ära hat im 21. Jahrhundert so viele Soundalikes erlebt. Das New Yorker Punk-Funk-Revival der frühen Nuller ist ein einziges Gang-of-Four-Memorial. The Rapture, Radio 4,!!! (Chk Chk Chk), LCD Soundsystem, alle haben „Entertainment“ mit Löffeln gefressen. In Großbritannien gilt das Gleiche für Bloc Party, Franz Ferdinand, Maximo Park. Und ja, ohne Gang of Four auch keine Chili Peppers.
Zum Trademark-Sound der Band steuert Andy Gill ein Gitarrenspiel bei, das klingt wie nix in der Geschichte des Rock, weil es nicht eingehen will in die Geschichte des Rock. Die antirockistische, vom afroamerikanischen Funk und vom jamaikanischen Dub informierte Klang-Ästhetik der Gang of Four hat Gefühl und Bewusstsein für Leerstellen, für Hohlräume. Der Kritiker Paul Morley spricht von „awkward holes and sharp corners“. Um die scharfen Ecken in die unbehaglichen Löcher stößt Gills Gitarre wie ein Steakmesser in die Haut: „Statt Gitarrensoli gab es bei uns Antisoli, man hörte einfach auf zu spielen, da blieb nur ein Loch.“
Und aus dem Loch ward geboren: Funk Punk mit einer politischen Attitude – Thatcher läuft sich schon warm. Zu den Antisoli performt die Gang Antiliebeslieder, gern im Dialog-Modus. Gitarrist Gill fällt Sänger Jon King mit ätztrockenem Sprechvortrag ins Wort, Rap avant la lettre. „Dein Kuss so süß, dein Schweiß so sauer“, heißt es in „Damaged Goods“, nicht viel lieblicher wird die Liebe in „Anthrax“, drei Jahre vor Aids: „Love’ll get you like a case of anthrax And that’s something I don’t want to catch.“
Am Samstag ist Andy Gill an einer Erkrankung der Atemwege gestorben, er wurde 64 Jahre alt. Klaus Walter
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