Nachruf Gerhard Mayer-Vorfelder: Der letzte Straßenfußballer
Der ehemalige DFB-Präsident und CDU-Rechtsaußen starb mit 82 Jahren. Die Reform der Nationalmannschaft kam ins Rollen, als MV gehen musste.
Ein Bild, das in Erinnerung bleibt: Gerhard Mayer-Vorfelder 2006 im Trainingslager der Klinsmann-Elf. Es ist die WM-Vorbereitung im eigenen Land: Der DFB-Präsident – Haut und Haar waren tiefengebräunt wie immer – setzt sich am Spielfeldrand in einen bereitgestellten Klappstuhl, legt das Jackett seines dreiteiligen Anzugs ab, krempelte die Manschetten nach oben. Mit jovialem Grinsen nahm er das Training seiner Nationalmannschaft ab.
„Sonnenkönig“ nannten ihn Politiker und Sportfunktionäre. In dieser Rolle gefiel er sich. Fast egal, dass er damals schon nicht mehr die unumschränkte Macht im DFB-Reich innehatte. Sechs Jahre zuvor hätte er beinahe „den Kokser“ (Christoph Daum) zum Bundestrainer ernannt, 2004 brachte er als Rudi Völlers Nachfolger den Steinzeittaktiker Otto Rehhagel ins Spiel. Mayer-Vorfelder bekam daraufhin Theo Zwanziger an die Seite gestellt, seine Amtszeit erhielt ein Verfallsdatum.
Es gibt ein paar Kontinuitäten im Leben des Gerhard Mayer-Vorfelder, einem der letzten politischen Straßenfußballer dieses Landes. Als Politiker und Fußballfunktionär ging er keinem Streit aus dem Weg. Er klebte an seinen Ämtern, war oft dort, wo Skandale stattfanden, ohne je mit ihnen mitgerissen zu werden. Und er blieb als strammer Konservativer der Verbindungsmann der Union zum rechten Rand.
In der Ausstellung „Tatort Stadion“ über Rassismus und Fußball waren noch während Mayer-Vorfelders DFB-Amtszeit Zitate zu lesen, die seine nationale Gesinnung dokumentierten. „Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen“, war nur eines davon.
Filbinger-Zögling
Seine politische Karriere startete der Prädikatsjurist als persönlicher Referent des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Der stolperte 1979 über seine Zeit als NS-Marinerichter. Während andere in Deckung gingen, ließ sich MV gern einen „Filbinger-Zögling“ nennen.
Später, als Kultusminister, legte er sich mit einer vermeintlich linken Lehrergeneration an und fand es gut, wenn in der Schule wieder alle drei Strophen der Nationalhymne gesungen wurden. Offensiv unterstützte er lange das Studienzentrum Weikersheim, einen rechten Thinktank, in dem sich neurechte und rechtsextreme Referenten die Klinke in die Hand gaben.
Erwin Teufel, der Mayer-Vorfelder für einen zweifelhaften Leichtfuß hielt, machte ihn 1991 dennoch zum Finanzminister. MV inszenierte sich als Sparkommissar, steckte aber selbst bei der landeseigenen Bank gern ein vierstelliges Rednerhonorar ein. Es folgten Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung, die er mit der Zahlung einer Geldbuße beendete.
Bauchpolitiker mit Geldüberschuss
Krisen und Kritik, an Mayer-Vorfelders Ego schien alles abzuprallen. Doch war er stärker im Austeilen als im Einstecken. Der Bauchpolitiker trank auch in der Öffentlichkeit gern mal ein Glas mehr und gab dann schwer verständliche Interviews. Als das eine Satiresendung im Radio aufs Korn nahm, klagte er dagegen.
Längst hatte er sich da parallel zur Politik eine Karriere als Sportfunktionär aufgebaut. Mayer-Vorfelder, Fan des VfB Stuttgart, war über 25 Jahre Präsident seines Vereins. Als er im Jahr 2000 zurücktrat, hinterließ er einen Berg an Schulden.
Schulden waren nicht das Problem während seiner Amtszeiten im Fifa-Exekutivkomitee. Eher Geldüberschuss. Mit sicherem Instinkt für die Macht war er dort ein treuer Gefolgsmann Sepp Blatters. Allerdings wusste er auch, wann man sich dort vornehm zurückhält. Als 1996 die WM-Vermarktungsrechte zum Rekordpreis von 3 Milliarden D-Mark vergeben werden sollten, ließ sich MV für die Abstimmung entschuldigen. Die Folgen dieser Entscheidung waren verheerend: die Pleite der Vermarktungsgesellschaft und der erste aufgedeckte Fifa-Schmiergeld-Skandal. Einen, den Mayer-Vorfelder nicht zu verantworten, aber auch nicht verhindert hatte.
Am Montag starb Mayer-Vorfelder 82-jährig an Herzversagen. Als sein Tod bekannt wurde, twitterte Sepp Blatter: „Dein Lebenswerk bleibt in Erinnerung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen