Nachhaltigkeit in der EU: Mehr grüner Schein als Sein
Von den großen Ambitionen für ein klimaschonendes und nachhaltiges Wirtschaften ist nicht viel übrig geblieben. Jeder EU-Staat schützt vor allem seine eigenen Interessen.
![](https://taz.de/picture/209366/14/Frankreich_Landwirt_reuters2010.jpg)
BRÜSSEL taz | In den Fluren der EU-Institutionen in Brüssel und erst recht auf den Pressekonferenzen der EU-Politiker ist „Nachhaltigkeit“ ein absolutes Trendwort – vor allem seit die 27 EU-Mitgliedsstaaten die sogenannte „Nachhaltigkeitsstrategie“ für die Gemeinschaft beschlossen haben.
Seit Dezember 2001 ist die ressourcen- und klimaschonende Wirtschaft erklärtes Ziel der Staatengemeinschaft. Damals wollten die Mitgliedsstaaten in eine neue Ära aufbrechen, aber nun – kurz vor der Umwelt- und Entwicklungskonferenz in Rio am 20. Juni – ist von dieser Ambition kaum etwas übrig geblieben.
„Die EU ist längst nicht so grün und nachhaltig, wie ihre Bürger denken. Die Kluft zwischen Rhetorik und Realität ist unglaublich groß“, sagt Jorgo Riss, der das EU-Büro von Greenpeace in Brüssel leitet. „Die Klimafreundlichkeit der Regierungen endet immer bei den Interessen der eigenen Wirtschaft. Das ist kurzfristig gedacht und dumm.“
Beispiele für diese Doppelzüngigkeit gibt es zahlreiche. Jedes Land will seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen. Während Deutschland vor allem bei der Energie- und Automobilindustrie sensibel reagiert, wollen die Spanier keine weiteren Einschränkungen bei den Quoten für ihre Fischereiflotte akzeptieren, weil davon bei ihnen im Land Arbeitsplätze abhängen.
Vom 20. bis 22. Juni findet im brasilianischen Rio die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung statt. 20 Jahre nach dem „Erdgipfel“ von Rio suchen die Staaten weiterhin einer Lösung, um Umwelt, Wirtschaft und Entwicklung miteinander zu versöhnen. Hoffnungsträger ist die grüne Wirtschaft, auch wenn ihre Details noch offen sind. Die taz beleuchtet dieses Thema bis zu dem Gipfel.
Die Franzosen wehren sich besonders heftig gegen die Reform der EU-Agrarpolitik, weil diese die EU-Subventionen von Großbetrieben zu nachhaltigen Ökobauern umschichten will.
„Da jeder seine speziellen Interessen hat, machen die Länder sich gegenseitig keinen Strich durch die Rechnung. Die Regierungen setzen darauf, dass sie so beim nächsten Mal ebenfalls die Unterstützung der Kollegen bekommen“, sagt Riss.
Nahezu alle Mitgliedsstaaten haben beim Schutz der Artenvielfalt in der Union versagt. Auch in diesem Punkt hatten sich die Regierungen hehre Ziele gesetzt. Bis 2020 wollen die EU-Mitgliedsstaaten das Artensterben aufhalten.
Helfen sollen verschiedene EU-Richtlinien und -Vorgaben – wie die Natura-2000-Regelung. Sie hat die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, besondere Schutzgebiete einzurichten. Zwar sind mittlerweile zahlreiche ausgewiesen, aber die Mitgliedsstaaten haben kaum Projekte zum tatsächlichen Schutz der Tiere und Pflanzen ergriffen.
Und das Geld fehlt: Die Umweltschutzorganisation WWF hat errechnet, dass zur Ausstattung der Natura-2000-Gebiete jährlich rund 5,8 Milliarden Euro notwendig sind. Zurzeit werden davon vom EU-Haushalt nur 20 Prozent gedeckt. Das ist zu wenig, um die Artenvielfalt zu erhalten.
Und in einigen Fällen ist es ausgerechnet die deutsche Bundesregierung mit der selbst ernannten Klimakanzlerin an der Spitze, die die Wende hin zur grünen Wirtschaft blockiert: zum Beispiel bei der aktuell in Brüssel diskutierten Energieeffizienz-Richtlinie, die dazu beitragen soll, dass das gesteckte Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 tatsächlich erreicht wird.
Die deutsche Bundesregierung versucht alles, um die Ziele und Maßnahmen in der Richtlinie – zum Beispiel die Vorgaben für die Sanierung von öffentlichen Gebäuden – möglichst unverbindlich zu halten.
Auch Spanien, Portugal und Finnland wehren sich gegen die Energieeinsparungen. Sie befürchten, dass die sowieso schon gebeutelte Wirtschaft zu stark unter den Folgen leidet.
Für die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard wird es deshalb schwierig werden, in Rio die EU-Position auf internationaler Ebene glaubwürdig und nachdrücklich zu vertreten. Denn die Mitgliedsstaaten haben außer vielen schönen Worten noch wenig konkrete Schritte für mehr Nachhaltigkeit gemacht.
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