piwik no script img

Nachgehakt: Zwei Jahre ErstaufnahmeDas Warten auf das Leben

In einem Gewerbegebiet in Hamburg-Wilhelmsburg leben Flüchtlinge schon seit fast zwei Jahren in einer Erstaufnahme-Unterkunft aus Containern.

Isoliert und ohne Perspektive: Flüchtlingsunterkunft in der Dratelnstraße, Foto: Miguel Ferraz

Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: Missständen, die wir kritisiert haben, Reformideen und Menschen, die losgezogen sind, die Welt zu verändern.

Ayman* wartet bereits an der S-Bahn-Haltestelle Hamburg-Wilhelmsburg. Von dort sind es nur fünf Minuten bis zur Flüchtlingsunterkunft in der Dratelnstraße. An den beiden Eingängen zum Gelände stehen Container, an denen Ayman sich mit einer Chipkarte anmelden muss. Drinnen sitzt das Sicherheitspersonal und langweilt sich augenscheinlich. Ayman grüßt den Wärter – man kennt sich mittlerweile schließlich. „Die sind alle ganz okay“, sagt er.

Der 24-Jährige hat bereits einen Aufenthaltstitel, wohnt aber immer noch in dem Containerdorf. Rund 50 Container und Holzhütten stehen auf einem ehemaligen Parkplatz nahe der Bahntrasse, zwischen Sportplatz und Industriehöfen. Die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wurde 2015 in Betrieb genommen, als die Stadt mehr und mehr mit den steigenden Flüchtlingszahlen überfordert war. Zunächst bestand das Lager nur aus Zelten, im vorigen Winter wurde es zu einem winterfesten Container- und Holzhüttenlager für zeitweise mehr als 1.500 Menschen.

Schon damals gab es Beschwerden von BewohnerInnen über katastrophale Bedingungen: Überall liege Müll herum und die Wege seien matschig, es gebe zu wenig Betreuungs- oder Sicherheitspersonal sowie Waschmaschinen und Duschen, die nicht funktionierten. Aus den Beschwerden wurden Proteste, die in einem Sitzstreik gipfelten. Wie sieht es heute aus?

Die Wege bestehen aus einer Mischung aus Erde und Schotter. Jetzt, während es leicht regnet, werden sie zunehmend matschig. Wir gehen rüber zum Container, in dem sich Aymans Zimmer befindet. Er teilt es sich mit einem anderen jungen Mann, der ebenfalls aus Syrien geflüchtet ist. Eine richtige Privatsphäre hat Ayman, seitdem er vor einem knappen Jahr in der Einrichtung unterkam, nicht.

Die Zimmer sind klein und kahl. Je zwei oder drei Menschen leben darin. Pro Container können bis zu 16 Personen untergebracht werden. Helle Neonröhren hängen an der Decke, an der Tür werden die vom Matsch der Wege verdreckten Schuhe ausgezogen. Die Duschen und Toiletten sind auf dem Gang. Zwei Duschen sind kaputt und die meisten Toiletten verdreckt. Laut dem Zentralen Koordinationsstab Flüchtlinge gibt es einen wöchentlichen Rundgang mit Handwerken, die die Schäden reparieren. Viele Einrichtungen würden von den BewohnerInnen mutwillig zerstört, heißt es. „Ich kenne hier Leute, die irgendwo in den Bergen ohne Sanitäranlagen aufgewachsen sind“, sagt Ayman, „denen muss man das auch erstmal beibringen, wie man damit richtig umgeht.“

Wer in den Holzhütten untergebracht ist, muss erst durchs Freie zu den Duschen und Toiletten. „Das sind traurige Szenen jetzt im Winter, wenn Eltern mit ihren Kindern erst durch Schnee und Matsch zu den Duschen gehen müssen“, erzählt Ayman. Als neben ihm eine Ratte auftaucht, wirkt er nicht gerade überrascht. „Man kennt den Anblick“, sagt er und lacht trotzig. „Wegen der vielen Gewässer in der Umgebung werden sich Ratten nie vollkommen vom Gelände fernhalten lassen“, sagt Kerstin Graupner vom Zentralen Koordinationsstab Flüchtlinge, „aber das Hygieneinstitut ist regelmäßig vor Ort, um neue Fallen aufzustellen.“

Ein paar Sachen hätten sich tatsächlich verbessert, seitdem er hier lebt, sagt Ayman. Weniger Müll liege auf dem Gelände herum und auch das Sicherheits­personal laufe regelmäßig herum. „Die sind auch ganz in Ordnung, machen ja auch nur ihren Job“, sagt Ayman.

Betrieben werden die Einrichtungen vom städtischen Unternehmen „Fördern und Wohnen“. Das Dienstleistungsunternehmen unterhält in ganz Hamburg Erstaufnahme- und Folgeunterkünfte mit rund 30.000 Plätzen. 300 Millionen Euro Umsatz hat Fördern und Wohnen 2015 gemacht. Das Unternehmen geriet zuletzt in die Kritik, weil es, als viele Flüchtlinge kamen, einen Schuldenberg angehäuft hat. Wenn man sich hier umschaut, kommt man nicht umhin zu denken, dass ein noch höherer Schuldenberg auch etwas Gutes hätte – weil er das Leben hier verbessern könnte.

Eigentlich sollen alle Geflüchtete nur sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung verbringen. Danach sollen sie entweder in zugeteilte Folgeunterkünfte kommen oder sich selbst eine Wohnung suchen – in Hamburg kein leichtes Unterfangen. Manche leben deswegen schon fast zwei Jahre in der Erstaufnahme-Unterkunft.

In Hamburg gibt es neben der Unterkunft in der Dratelnstraße noch elf weitere Einrichtungen zur Erstaufnahme, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind. Insgesamt leben immer noch mehr als 6.000 Menschen in einer dieser Einrichtungen, obwohl sie längst Anspruch auf eine Folgeunterkunft hätten. Doch vorerst sind die BewohnerInnen zum Warten verurteilt. Der Zentrale Koordinationsstab hat deshalb den Bau von Folgeunterkünften mit 7.000 Plätzen angekündigt: „Noch dieses Jahr soll dieses Ziel erreicht werden“, sagt Sprecherin Graupner.

Sechs Freunde von Ayman sitzen in einem kleinen Zimmer auf den Betten und unterhalten sich. Ein Wasserkocher für den Tee wird herausgeholt. „Naja, der ist eigentlich verboten …“, sagt Ayman. Elektrogeräte wie Wasserkocher, Herdplatten oder Fernseher sind in den Zimmern aufgrund von Brandschutzbestimmungen nicht erlaubt. Das Security-Personal führe regelmäßige Kon­trollen durch, sagt Ayman. Notfalls nehmen sie den BewohnerInnen die Geräte ab. Bei Wasserkochern und Herdplatten kann er das sogar verstehen. Aber Fernseher? Es habe aber Bedenken eines Brandschutzbeauftragten gegeben, erklärt Graupner vom Zentralen Koordinationsstab. Deshalb bleiben auch Fernsehgeräte verboten – vorerst. „Zum Deutschlernen wäre das gar nicht schlecht gewesen, wenn man einen Fernseher hätte“, meint Ayman.

Drei Mahlzeiten täglich werden den BewohnerInnen in einem anderen Container bereitgestellt. „Es schmeckt nicht, und das Personal ist unfreundlich“, sagt Ayman dazu nur. Er ist viel unterwegs, hat Sprachkurse und einen kleinen Nebenjob. Allein aus zeitlichen Gründen kann er gar nicht zu jeder Mahlzeit da sein. Dennoch werden ihm, so wie allen anderen, 154 Euro dafür vom Hartz-IV-Regelsatz abgezogen – mehr als ein Drittel der ihm zustehenden 409 Euro. „Wir haben uns mehrere Male darüber beschwert“, sagt der 24-Jährige, „aber es ist nichts passiert.“

Wer das Essen nicht mag, hat Pech gehabt. „Die Möglichkeit, sich Sachleistungen auszahlen zu lassen, besteht aufgrund des geltenden Asylbewerberleistungsgesetzes nicht“, sagt Graupner. Sich selbst etwas zu essen kochen, ist gar nicht möglich. Und das Essen aus der Kantine darf ebenfalls nicht mit auf die Zimmer genommen werden. „Wegen den Ratten, haben sie uns gesagt“, so Ayman. Geholfen hat das offenbar nicht viel.

Neben der fehlenden Privatsphäre ist es vor allem diese Unmündigkeit, die ihn ärgert. Er würde gern selbst kochen und zu den Zeiten, die ihm am besten passen. „Selbstbestimmt zu wohnen, zu arbeiten und zu lernen sind Grundvoraussetzungen für eine gute Integration“, sagt auch Graupner. Erstaufnahmeeinrichtungen sind dafür nicht der richtige Ort. Das wissen sie beim Koordinationsstab auch.

„Viele sind, ehrlich gesagt, auch ziemlich faul hier geworden“, sagt Ayman. Seine syrischen Bekannten in der Einrichtung verbringen viel Zeit miteinander. Sie kennen sonst fast niemanden. Auch Ayman hat nur wenig Kontakt mit Menschen außerhalb der Einrichtung. Aus dem täglichen Trott kommt man immer weniger heraus, sagt Ayman. Und dennoch: „Gerne ist hier niemand.“ Eine kleinere Folgeunterkunft oder gar eine eigene Wohnung, die nicht wie in der Dratelnstraße abseits von nahezu allem liegt, könnte das ändern.

Ayman hat mittlerweile eine WG gefunden, in die er bald einziehen kann. Seine Freunde aus den Containern werden weiter abwarten müssen. „Mir kann es egal sein, aber ich will schon, dass sich für die etwas verbessert“, sagt er. Sie müssen darauf hoffen, dass im Laufe des Jahres tatsächlich die versprochenen Folgeunterkünfte gebaut werden. Bis dahin werden auch die Ratten ihre Begleiter bleiben.

*Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Eigentlich sollen alle Geflüchtete nur sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung verbringen. Danach sollen sie entweder in zugeteilte Folgeunterkünfte kommen oder sich selbst eine Wohnung suchen – in Hamburg kein leichtes Unterfangen." Stimmt - und auch ausreichend Plätze für Folgeunterkünfte zu finden ist im dicht besiedelten Hamburg nicht einfach. Zumal dann, wenn sich in fast allen Stadtteilen die AnwohnerInnen gegen die Unterkünfte wehren, sei es aus (vermeintlichen) Umweltschutz- oder Kleinklimagründen, sei es, weil Flüchtlinge angeblich nicht in die Nachbarschaft passen - jedenfalls nicht hier und nicht so viele. Dabei sind dann 700 zuviel, 300 aber auch, und auch 190 in Blankenese sind eine unzumutbare Belastung.

     

    Also: Wer will, dass Ayman und knapp 6000 andere endlich aus den Erstaufnahmen ausziehen können, der muss auch dir Folgeunterkünfte im eigenen Viertel akzeptieren.