Nachgefragt: Urteil abwarten
■ „Rechtlich gibt es keine Verantwortung von Kindern für Taten ihrer Eltern“
taz: 531 libanesische Asylbewerber stehen unter Verdacht von „Asylmissbrauch“. Sie sollen türkische Pässe besitzen. Allerdings sind darunter 277 Kinder und eine unbekannte Zahl von heute Erwachsenen, die vor zehn Jahren minderjährig mit den Eltern kamen. Alle sollen ausreisen. Sie sind Anwalt – was sagen Sie dazu?
Holger Hoffmann, Rechtsanwalt: Mir sind 25 bis 30 Ausweisungen bekannt, bei denen es sich um türkische Staatsbürger gehandelt haben soll. In etwa 230 Verfahren wird noch ermittelt, in etwa 270 soll die Ausländerbehörde die Voraussetzungen für die so genannte „unanfechtbare Ausreise“ herstellen. Unklar ist, wann das auf Grund welcher rechtlichen Tatbestände geschehen soll.
Immer wieder ist von Asylbetrug die Rede. Gemeint ist: Die staatenlosen Kurden, um die es sich in der Mehrzahl handelt, sind mit türkischen Pässen gekommen und haben dann als Libanesen ein Asylverfahren betrieben. Wie ist das mit dem Betrugsvorwurf?
Wenn die Leute tatsächlich kurdische Türken sind und das 1988/89 gesagt hätten, wären sie wohl als gruppenverfolgt anerkannt worden. Das war die Rechtssprechung des Oberverwaltungsgerichts damals. Gerade bei kurdischen Türken hätte also kein Asylbetrug vorgelegen. Wer allerdings aus dem Libanon kam, hatte auch damals schon keine Anerkennungs-chancen. Er konnte allenfalls mit einem geduldeten Aufenthalt hier rechnen; von Asylbetrug zu reden, ist insofern falsch.
Wie sieht es denn mit dem Sozialhilfebezug aus?
Da ist die Frage: Ist es Betrug, wenn ich eine Leistung in Anspruch nehme, die mir sowohl als Türke oder als staatenloser Kurde gewährt würde. Problematisch wird das erst, wenn eine Abschiebung möglich wäre. Einen anerkannten türkischen Asylberechtigten kann man aber nicht abschieben. Ebensowenig einen nicht anerkannten staatenlosen Kurden. Der Betrug kann allenfalls in der Identitätstäuschung liegen. Aber ich hatte selbst zwei Verfahren, in denen die Strafrichter es abgelehnt haben, überhaupt ein Verfahren wegen Betrugs zu eröffnen, solange unklar war, woher die Leute kommen. Die schlichte Identitätstäuschung, dass ich sage ich bin Herr X, bin aber Herr Y, ist nicht strafbar.
Über die Hälfte sind Kinder, die ohne eigenes Zutun nach Deutschland kamen ...
... und die auch keine Anträge beim Sozialamt gestellt haben. Formal können sie keinen Betrug begehen, weil es am Tatbestand fehlt.
Die Kinder sollen ausreisen. Welche Rechte haben sie?
Das Recht auf Integration und darauf, dass geklärt wird, ob sie Deutschland tatsächlich verlassen müssen. Hier werden ja viele Dinge eigentümlich verquickt. Die jungen Menschen werden in Haftung genommen für das Verhalten ihrer Eltern. Eine solche Verantwortung kann man politisch in die Debatte werfen – rechtlich gibt es keine Verantwortung der Kinder für die Taten ihrer Eltern.
Wie sieht es aus bei dem Kreis, der als Kind kam und heute erwachsen ist?
Das ist komplizierter. Wenn ein Asylantrag gestellt, aber nicht weiter betrieben wurde, wurde er in der Regel als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Zugleich gab es eine Ausreiseverfügung. Formaljuris-tisch ist sie noch wirksam. Umstritten ist allerdings, ob sie wirkt, wenn Betroffene auf Grund ihres langen Aufenthaltes eine Aufenthaltsbefugnis bekommen haben. Dazu gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung.
Fragen: Eva Rhode
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